Martenstein, Sie kennen ihn sicher, Harald Martenstein. Er schreibt eine Kolumne im ZEITmagazin, »Harald Martenstein« heißt sie, nach ihrem Autor benannt, ist das nicht irre? Das habe ich in Jahrzehnten nicht geschafft: dass eine Kolumne nach mir benannt worden wäre! Ihm ist das im Vorbeigehen gelungen, wahrscheinlich hat er, als ihm danach war, in seiner Redaktion angerufen und gesagt: »Ab heute heißt meine Kolumne übrigens anders. Der Name ist Martenstein, Harald Martenstein.«
Die kuschen da vor ihm, ich weiß es.
Martenstein ist gut, Unsinn: Er ist brillant. Er hat Ideen, ist witzig, viel politischer als ich und immer besonders. Woche für Woche gräbt er Themen aus, bei denen ich denke: Jaaa, jaaaaa, warum ist mir das nicht eingefallen, warum stand ich so auf der Leitung, dieses Thema lag auf der Straße, ich hätt’s nur aufheben müssen. Ich war mit Blindheit geschlagen. Martenstein hat sich mit eleganter Gebärde des Gegenstandes angenommen und darüber eine Kolumne verfasst. Ich stelle mir vor, dass er das in einer Viertelstunde macht, maximal einer halben. Nicht mal die seltsamen Krakelmännchen, mit denen irgendein Kind seine Seite illustriert, halten die Leute vom Lesen ab, das habe ich ihm voraus, den besseren Zeichner, Gott sei Dank.
Er schreibt so en passant, beneidenswert, hat den Gedankensprung zur Kunst erhoben, eben war er noch hier, plötzlich ist er da, aber nie verliert er den Faden. Seine Ironie kann beißend sein. Einmal hat er einen Literaturkritiker, der einen äußerst ablehnenden, indes bedauerlich schwachen Text über einen Roman Martensteins verfasst hatte, in seiner Kolumne so dermaßen zerlegt, nachgerade abgefieselt, dass die Branche am Boden lag vor Lachen, es war Wahnsinn! Knallhart und schweinekomisch zugleich. Ich könnte das nicht, ich bin nicht fähig zu solcher Schärfe. Irgendwie nicht gefährlich genug. Ich hätte gerne mal, dass Leute vor mir zittern, bloß bringe ich das nicht.
Und einen Roman habe ich bis heute nicht vorgelegt, das kommt ja noch dazu: Martenstein beherrscht die kurze Form, er hat aber auch den Atem für dreihundert Seiten. Scheiße, er ist gut.
Natürlich empfinde ich ihn als Konkurrenz, das ist doch klar. Gleich morgens, wenn meine Frau mich wachküsst, denke ich: Wie kann ich gegen diesen Kerl bestehen? Man vergleicht uns, Woche für Woche. Das Blöde ist: Seine Kolumne erscheint schon donnerstags, weil eben die Zeit am Donnerstag herauskommt. Er legt immer vor, er ist immer schon da. Er ist der Igel, ich bin der Hase. Dann kommt noch dazu, dass sein Text in jedem ZEITmagazin ganz vorne steht, das heißt, wenn man die zahlreichen Titelbilder des Heftes hinter sich hat, ist man gleich bei ihm. Er ist der Tambourmajor der Redaktion, alles schaut auf Harry M.
Und ich? Die Leute müssen sogar noch das Impressum durchackern, bevor sie endlich bei mir sind. Vorletzte Seite. Noch zwei weiter, und ich bin draußen.
Übrigens hat Martenstein noch andere Kolumnen, im Tagesspiegel, im Berliner Radio – wie macht er das? Bruno, mein alter Freund, sagt, er sehe neuerdings jeden Morgen in München auf dem Weg ins Büro einen Mann, der Martenstein so ähnlich sehe, dass er Martenstein sein könnte. Schnellen Schritts eile der ins Büro, sichtlich ein beschäftigter Mensch. Soweit ich Kenntnis habe, lebt M. in Berlin, aber was weiß man bei ihm? Ist er schon in der Stadt?
Anmerkungen von Harald Martenstein zu Axel Hackes Kolumne: Auf den ersten Blick ist das ein netter Text, warm, elegant, münchnerisch halt. Im Unterholz des Textes verstecken sich Wörter wie »böse«, »beißend«, »knallhart«, »Tambourmajor« oder »scharf«. Ich bin doch ein total lieber Kerl! Ich lebe nur deshalb nicht in München, weil die Stadt auch ohne mich schon lieb genug ist. Warum Axel Hacke darüber klagt, dass er erst am Ende seines Heftes auftritt, verstehe ich nicht. Bei Konzerten tritt ja auch am Anfang Peter Maffay auf, am Ende kommen dann die Rolling Stones.
Das Gegenstück lesen Sie im ZEITmagazin: Da schreibt diese Woche Harald Martenstein über seinen Kolumnistenkollegen Axel Hacke.
Illustration: Dirk Schmidt