Luis kommt bald aufs Gymnasium, da stellt sich die Frage, mit welcher Fremdsprache er beginnt. Ob er Latein wählen sollte. Als ich für Latein plädierte, auch mit dem pragmatischen Argument, für eine Reihe von Studienfächern benötige man ein Latinum, da antwortete Luis: »Studienfächer? Was für Studienfächer?«»Na, du willst vielleicht mal studieren …« »Ich studiere nicht, ich werde Fußballprofi.« So viel zum Thema »Was der Fußballwahn 2006 in den Bubenhirnen des Landes anrichtet«. Nun: Vorschläge eines Fußballervaters zur grundlegenden Verbesserung des fußballerischen Niveaus in Deutschland mit dem Ziel der Erlangung des Weltmeistertitels im Jahr 2022, gern unter Beteiligung des Mittelstürmers Luis, der in der 90. Minute das entscheidende Tor zum 3:2 schießen könnte, worauf sein Vater den Rest seines Lebens damit verbringen würde, zu erzählen, wie er den Sohn im täglichen Training auf dem Wohnungsflur zum WM-Helden ausbildete. (Dies als ergänzende Anmerkung zum Thema »Was der Fußballwahn 2006 aus erwachsenen Männern machte«.) Flurfußball. Immer wird kritisiert, es gebe in Deutschland keine Straßenfußballer mehr. Dazu zwei Dinge. Erstens: Ich war ein Straßen-fußballer, Tag für Tag kickte ich auf der Straße vor unserem Haus, kickte mit allem, was sich kicken ließ, von der zusammengedrückten Kakaotüte bis zum gerollten Wollstrumpfpaar meines Vaters, kickte mit der Mannschaft unserer Straße gegen die Mannschaft der Parallelstraße, zerkickte die Rosen im Garten, kickte, obwohl ich regelmäßig vom Anführer der Spätaussiedlerknaben aus dem Wohnlager nebenan zusammengeschlagen wurde, wenn wir gegen seine Mannschaft gewannen, kickte, kickte, kickte. Und was ist aus mir geworden? Haben Sie je meinen Namen im Kicker gelesen? Bin ich mit einer Spielerfrau verheiratet? Also. Straßenfußball wird überschätzt. Nicht ausgelotet hingegen sind die Möglichkeiten des Flurfußballs. Während auf vielen Straßen kein Fußball mehr möglich ist, bieten die Wohnungsflure des Landes Platz, die Fähigkeiten zu schulen, die an deutschen Spielern oft vermisst werden: Ballbeherrschung auf engstem Raum, Kurzpassspiel, Ball flach halten. (Nie darf beim Flurfußball ein Bild von der Wand geschossen werden.) Denken Sie mal drüber nach! Jetzt aber noch was anderes. Bald beginnt die WM. Und ich bin der Meinung … Der eine oder andere kennt aus Tierfilmen im Fernsehen diese kleinen Mistkäfer oder Skarabäen, die aus dem Dung großer Tiere Mistkugeln formen, die sie dann mit den Hinterbeinen umfassen und im Rückwärtsgang vor sich hin rollen. Phasenweise bewegen die Tiere immerzu so eine Kugel herum, unglaublich behände, faszinierend geschickt, und … Um es kurz zu machen: Ich bin der Meinung, ab sofort sollte jeder Deutsche immer einen Fußball bei sich haben. Auf dem Weg ins Büro, in der Trambahn, beim Spaziergang, auf dem Spielplatz, beim Elternabend. Immerzu. Überall. Jeder. Einen Ball. Einen Fußball. Man bedenke erstens den Effekt auf die vielen Menschen und Mannschaften, die uns besuchen. Was für ein Land! Jeder hat immer einen Fußball bei sich! Shocking! Wie soll man eine Elf aus einem solchen Land besiegen? In dem die Kleinsten schon stets einen Ball mit sich führen, und deshalb sicher ein Ballgefühl … Das wäre das eine. Das andere: Wer immer einen Fußball bei sich hat, wird irgendwann mit ihm spielen und sei es aus Langeweile: Er wird mit ihm umgehen lernen, es wird so eine Fußballerbasis im Land entstehen, aus der großartige Mannschaften sich entwickeln werden. Haben Sie mal einen Normalkäfer, Mai- oder Marienkäfer mit einer Kugel konfrontiert? Was kann er damit anfangen?! Nichts. Aber die Mistkäfer, bei denen jeder dauernd mit einer Kugel übt – virtuos! Noch eine Woche. Es tut mir Leid, dass ich die Vorschläge so spät präsentiere. Sie sind mir nicht früher eingefallen.
Illustration: Dirk Schmidt