Das Beste aus meinem Leben

Mit mir ist es so: Wenn mir jemand eine Hand entgegenstreckt, ergreife und drücke ich sie und sage: »Grüß Gott.«Wenn mir jemand den Kopf eines Stoffzebras reicht, dessen Leib aus einem putzigen rot-weißen Lappen besteht, sage ich: »Erstaunlich.« Wenn mir jemand ein Buch reicht, das mich interessiert, nehme ich es, schlage es auf und lese stumm darin.Mit unserer kleinen Tochter ist aber alles anders.Sophie erwacht morgens um fünf Uhr, Paola und ich setzen sie zu uns ins Bett, wir schließen noch einmal die Augen, ich lasse müde meine linke Hand vor Sophies Gesicht erscheinen, die Finger spielen ein bisschen in der Luft und Sophie ergreift den Zeigefinger, schreit dann, aufs Höchste erfreut: »Ha! Aaaaah! Ha!«Sophie liegt in ihrem Kinderwagen, jemand reicht ihr ein seltsames Stoffzebra mit rot-weißem Lappenkörper und sie schreit: »Haaah! Aha! Ha!«Sophie sitzt auf ihrer Spieldecke, Luis gibt ihr ein Buch namens Mein kleines Fühlbuch (Ist das von Paulo Coelho? Nein, von Angelika Penner und Julia Hofmann!), Sophie schnappt danach und ruft: »Haaaaah! Ahaaaa!«Diese Schreie: Kampf- und Freudenrufe, mit denen sich dies Kind ins Leben und auf das Leben stürzt. Nehmen wir nur noch mal Mein kleines Fühlbuch. Darin sind enthalten: Bilder eines Kükens, einer Kuh, eines Schafes, eines Schweins und eines Pferdes. Und jedes Tierbild ist versehen mit einem »Fühlelement«, einem, wie uns auf der Buchrückseite versichert wird, »geprüften« Fühlelement, das irgend-wie zu dem Tier passt: zum Küken ein bisschen gelber Flausch, zum Schwein etwas PVC-artige rosa Schweinehaut, zum Pferd eine Sandpapierzunge, so ist das. Und das Kind soll doch wahrscheinlich seine Finger über diese Fühlelemente schweifen lassen, die Finger seiner, wie es auf der Fühlbuchrückseite heißt, »kleinen Kinderhände«. Es soll die Elemente fühlen. Fühl die Elemente, Baby! Yeah – aahaaaa! Was macht aber Sophie? Sie nimmt das Buch mit ihren »kleinen Kinderhänden«, nachdem wir ihr jedes Tier einzeln wortreich vorgestellt haben und sie jedes Tier ihrerseits mit »Ha-aaaah! Aaaaah!« begrüßt hat, nimmt also das Buch, reißt es an sich – und steckt es in den Mund. Sie macht aus dem Fühl- ein Lutschbuch, hat bereits den Gott sei Dank schadstofffreien Verlagsnamen vom Fühlbuch gelutscht und schlabbert sich langsam zum Streifencode vor.Sie macht, was sie will. Und jeden Tag stürzt sie sich aufs Neue auf dieses Büchlein, als sähe sie’s zum ersten Mal. Schreit. Und freut sich. Wir Erwachsenen aber schütteln Tag für Tag stumm Hand um Hand, starren erstaunt auf Lappenzebras und blättern still in Büchern, statt sie freudeschreiend zu begrüßen.Wir leben alle falsch.