Das Beste aus meinem Leben

Weihnachten ist nicht mehr fern. Danach werden Ferien sein bis in den Januar hinein. Da werden wir Ski fahren, und Kurti, das Meerschwein, wird 14 Tage lang eine andere Bleibe brauchen, denn er fährt nicht Ski, leider. Die Skikurse für Meerschweine waren in ganz Österreich schon ausgebucht, wir waren einfach zu spät dran.Wohin mit Kurti?Die Oma kann ihn nicht nehmen, denn sie fährt selbst weg. Sowieso nimmt sie den Kurti im Winter nicht gern, im Sommer eher, da kann er auf ihrer Terrasse wohnen, aber im Winter müsste er in der Wohnung sein, und die Wohnung ist zu klein. Außerdem ist Kurti der Oma nicht hygienebewusst genug, das müsse man klar sagen, sagt sie, nichts gegen Kurti, aber er sei nun mal ein Tier.Das ist ein grundsätzliches Problem, das Kurti schon lange verfolgt: dass er ein Tier ist und lebt wie ein Tier. Man muss sich nur mal vorstellen, dies Meerschwein würde eine Existenzform pflegen wie wir, also nicht im Käfig wohnend, nicht Heu, Äpfel, Gurken ohne Messer und Gabel verzehrend, nicht in seine Käfigstreu urinierend.Sondern irgendwie kultivierter leben.Die Meerschweinchen sind doch so lange mit dem Menschen zusammen – warum haben sie sich nicht mehr seinen Ansprüchen angepasst? Sich zu ihm hinaufentwickelt? Morgens duschen, abends Zähne putzen, dazwischen allerhand Gerichte von Tellerchen essen und diese und jene Getränke aus Becherchen trinken. In einem Bett schlafen. Hosen tragen. Wasserklosetts benutzen. Und selbstständiger sein, also mal eine Woche ohne Herrchen zurechtkommen, im Gegenteil sich sogar um seine Wohnung kümmern. Anrufe entgegennehmen, Boden wischen, Blumen gießen.Damit wäre so ein Meerschwein überfordert. Und deshalb suchen wir weiter nach einem Ferienplatz für den Kurti. Und es passiert dabei etwas Merkwürdiges.Einerseits kümmert sich der Luis nämlich sehr selten um Kurti, eigentlich nie. Immer muss man ihn daran erinnern, dass er ihm gehört, dass er ihn sich vor zwei Jahren so dringlich wie nichts gewünscht hat, dass es seine Versprechen waren, die uns bewogen, ihm schließlich Kurti zu kaufen: Ja, er werde sich um das Tier kümmern, als wäre es sein eigener Arm. Ja, er werde seinen Käfig putzen, ihm Nahrung geben, seine Wasserflasche füllen. Nichts davon geschah. Für Fütterung und Pflege des Kurti bin ich zuständig. Für Gespräche mit ihm Paola.Andererseits aber kann sich Luis ein Leben ohne Kurti nicht mehr vorstellen. Irgendwie hat man das Gefühl, er hintertreibe systematisch alle Versuche, das Tier über die Weihnachtsferien woanders unterzubringen. Zum Beispiel möchte er nicht, dass Kurti die Zeit bei einer Freundin Paolas in der Nähe von Augsburg verbringt – warum? Weil diese Freundin einen Sohn hat, der dreieinhalb Jahre alt ist, und Luis befürchtet, der Kleine könne seinem Schwein etwas antun, durch grobes Betatschen beispielsweise.Als Alternative hat er angekündigt, er werde Kontakt zu einem Mädchen aus einer Parallelklasse aufnehmen, das bereits ein Meerschweinchen besitze und ihm mal angedeutet habe, ein Gastschwein sei willkommen. Tag für Tag frage ich Luis nach dem Stand der Dinge, nach der Telefonnummer des Mädchens zum Beispiel. Tag für Tag findet er andere Ausreden, warum er die Nummer heute nicht habe beschaffen können: Das Mädchen sei krank; es sei in der Pause nicht ansprechbar gewesen, weil es so tief in andere Gespräche vertieft war; oder sein, Luis’, bester Freund habe sich den großen Zeh gebrochen, weshalb er nicht in den Pausenhof dürfe, und er, Luis, ihm im Klassenzimmer Gesellschaft leisten müsse. Und nur auf dem Pausenhof sei das Mädchen anzutreffen.So verrinnt die Zeit. So läuft sie davon. Noch zwei Wochen, dann sind Weihnachtsferien. Zweifellos befürchtet Luis, dem Tier könne es am Urlaubsort so gut gefallen, dass es nicht mehr zurückmöchte. Zweifellos verhindert er deshalb alle Lösungen. Zweifellos liebt er Kurt mehr, als er zugibt, und möchte ohne ihn nicht mehr sein.Was aber nicht geschieht: dass er sich mehr um ihn kümmert.»Luis!«, habe ich neulich gerufen. »Du musst dich mehr mit Kurt beschäftigen. Du schaust ihn nicht mal mehr an.«Luis ging am Käfig vorbei, winkte kurz mit der rechten Hand, rief einmal: »Hallo, Kurti!«Und ging spielen.