Das Beste aus meinem Leben

Ein paar Worte zu dem kleinen Bauernschrank, der seit Jahren bei uns auf dem Flur steht.Wussten Sie übrigens, dass die beste Geschichte, die je über einen kleinen Bauernschrank geschrieben wurde, von Roald Dahl stammt? Des Pfarrers Freude heißt sie und handelt, genau genommen, zwar auf einem Bauernhof, aber nicht von einem Bauernschrank, sondern von einer Chippendale-Kommode, und...Ich werde die Geschichte nicht erzählen, obwohl sie großartig ist, bloß werde ich nicht dafür bezahlt, die Geschichten anderer Leute zu erzählen. Wobei man sagen muss, dass es fast nichts wirklich Interessantes im Leben gibt, über das Roald Dahl nicht eine Geschichte geschrieben hätte, man wird ganz mutlos, wenn man daran denkt. Mit Dahl ist es (auf ganz andere Art) wie mit Loriot oder Polt, die haben immer alles schon beschrieben, und wenn man etwas erlebt, sagt man nur noch, das sei ja wie bei Loriot oder Polt. Oder wie bei Dahl eben.Neulich nahm Paola eine gefrorene Lammkeule aus dem Gefrierschrank, sah mich lange an und sagte plötzlich, dass man mit einer gefrorenen Lammkeule den perfekten Mord begehen könnte, indem man nämlich…»Bitte«, sagte ich, »kennst du nicht Roald Dahls Geschichte Lammkeule, in der genau dies geschildert wird?«»Richtig«, sagte sie, »ich erinnere mich.«Eines anderen Tages sah ich Luis auf dem Bürgersteig über die Pflastersteine hüpfen, und ich erinnerte mich, wie ich als Kind im Wohnzimmer meiner Eltern über den Perserteppich gegangen war und mir vorgestellt hatte, die roten Teile des Teppichs seien glühende Kohlenstücke und das Schwarz sei eine Schlangengrube, und man könne den Teppich nur lebend überqueren, wenn man ausschließlich auf Gelb trete. Ich erzählte das Paola und sagte, man müsse sich mal vorstellen, wie es wäre, wenn das Wirklichkeit wäre, wenn also das Rot wirklich…»Ja, das hat Roald Dahl mal geschrieben, Der Wunsch heißt die Geschichte.«»Richtig«, sagte ich, »ich erinnere mich.«Nun zu unserem Bauernschrank. Der ist blau und mit Blumen bemalt und hat vorn eine Tür, in deren Ecken jeweils ein Gehöft zu sehen ist, dasselbe Gehöft in verschiedenen Jahreszeiten, mal schneebedeckt, mal in heller Sonne und so weiter. Und ganz oben, in der Mitte des Schranks, steht die Zahl 1796. Der Händler, der ihn uns verkauft hat, sagte, der Schrank sei tatsächlich so alt, er verbürge sich, es könne keine Zweifel geben. Es gibt sie aber doch. Erstens fällt mir die Vorstellung schwer, auf meinem Flur könne tatsächlich ein Schrank stehen, der soooo alt ist – er wäre ja in dem Jahr gebaut worden, in dem Napoleon Joséphine de Beauharnais heiratete. Und zweitens hatten wir schon mal den Fall eines gefälschten Schranks. Wir hatten ihn bei einem Altmöbelhändler gesehen, der beim Leben seiner Kinder schwor, dies sei ein echter Tölzer Bauernschrank, zehn Jahre habe er gebraucht, um ihn einer Familie in Tölz abzuschwatzen, es sei der schönste Schrank, den er je besessen habe, er liefere ihn gern für drei Tage zur Ansicht.Das nahmen wir in Anspruch, und weil Bruno, mein alter Freund, einen Experten für Tölzer Bauernschränke kennt, kam der Experte zu Besuch, betrachtete den Schrank schweigend zwanzig Minuten lang und sagte: »Der Schrank ist funkelnagelneu.« Er erklärte uns eine Stunde lang, wie er das erkannt habe, klärte uns über alle möglichen Fälschungsmethoden auf – und am nächsten Tag ließen wir das Ding wieder abholen. Aber dieser kleine Schrank hier – den haben wir gekauft, ohne ihn von einem Experten ansehen zu lassen. Warum? Er ist so schön, oder nein, »schön« ist das falsche Wort. Er ist charmant und hat etwas Unbeholfenes – man mag ihn einfach. Vielleicht ist er mehr als 200 Jahre alt, vielleicht ist er ganz neu, dann wäre er eine einzige Lüge, aber eine schöne Lüge, und wenn wir ehrlich sind, ist einem oft eine gute Lüge lieber als die Wahrheit, was?Jedenfalls bringt einen dieser Schrank jedes Mal, wenn man an ihm vorbeigeht, zum Nachdenken – und es ist die Tatsache, dass man die Wahrheit über ihn nie ganz genau wissen wird, die ihn interessant macht. Vielleicht ist es nicht die wichtigste Aufgabe eines Bauernschranks, interessant zu sein, aber schaden tut’s auch nicht.Übrigens bewahre ich in dem Schrank einen kleinen Vorrat an Wein auf, obwohl der Schrank nicht der beste Ort ist, um Wein aufzubewahren, wie jeder Weinkenner sagen würde. Aber was Weinkenner angeht… Lesen Sie dazu bitte die erste Geschichte in ...und noch ein Küßchen! von – ja, klar, von wem…