Das Beste aus meinem Leben

Immer öfter werde ich zu 50. Geburtstagen eingeladen. Immer öfter denke ich, dass es nicht mehr soooo lange hin ist, bis ich selbst fünfzig werde – wenn ich Glück habe und bis dahin nicht von einer Trambahn überfahren oder von einer unaussprechlichen Krankheit zerfressen werde.Immer öfter sagt irgendeiner der Freunde etwas wie: »Bitte keinen Weißwein für mich, ich vertrage ihn nicht mehr. Die Säure.« Immer öfter höre ich mich selbst solche Sachen sagen. Immer öfter trinke ich abends kein Bier mehr, weil ich dann nachts vom Blasendruck erwache und zur Toilette wanken muss. Danach kann ich vielleicht nicht mehr einschlafen.Immer öfter denke ich, dass mein Vater in einem bestimmten Alter von genau diesem Thema anfing zu sprechen, und dass mein Vater mir als Kind so unglaublich alt erschien, so außer jeder Konkurrenz alt, als entstamme er einer anderen Welt, in der man ächzte, wenn man sich aus dem Sessel erhob und über Rückenschmerzen klagte. Immer öfter klagen in meiner Umgebung Menschen über Rückenschmerzen. Ächzen, wenn sie sich aus Sesseln erheben.Immer öfter lese ich in der Post Werbetexte von Hotels, die mir eine »Acht-Tages-Pauschale inklusive Verwöhnpension« anbieten, wobei zur »Verwöhnpension« auch ein »Vital-Frühstücksbuffet« gehört. Wenn ich Worte wie »Verwöhnpension« höre, muss ich meinen schon leicht brüchigen Schädel gegen die Wand schlagen, ähnliches gilt für die »Wellness-Schnitte«, die kürzlich auf großen Blechen in meiner Bäckerei angeboten wurde, zwei Wellness-Schnitten gab es zum Aktionspreis. Das Wörtchen »vital« aber hat auf mich die Wirkung einer Feuerwehrsirene. Es signalisiert die Nähe des Alters und des Grabes. Es riecht nach Knoblauchperlen und Ginseng-Extrakt, all diesen Dingen, mit denen mein Vater sich dem Verfall entgegenstemmte. Gibt es nicht eine Senioren-Zeitschrift namens Vital?Immer öfter spricht man unter Leuten meines Alters über nächtliche Schlaflosigkeit. Bruno, mein alter Freund, kennt das nicht, aber er sagt, neulich sei ihm aufgefallen, dass seine Frau offenbar nachts schlecht schlafe, jedenfalls habe morgens auf ihrem Nachttisch ein Tee gestanden. Abends sei dort noch kein Tee gewesen.»Ein T?«, sage ich. »Auf dem Nachttisch deiner Frau stand ein T?«Das erschien selbst mir geheimnisvoll, der ich im Umgang mit Buchstaben an Seltsames gewöhnt bin. Buchstaben, die einfach so nachts neben dem Bett erscheinen, noch dazu ein T? Ich meine, ein A oder B, das wäre noch was, aber T? Ist schon ziemlich am Ende des Alphabets...Immer öfter verstehe ich Bosch, meinen sehr alten Kühlschrank und Freund, sein ewiges Gejammer und die Angst vor dem Entsorgtwerden. Neulich feierten wir bei einem Glas Champagner seinen 51. Geburtstag, er und ich, nachts um eins. Er klagte, er habe Schmerzen am Rücken, und ich sagte: »Ich auch.« Dann jammerte er über ein Stechen im Leib und ich sagte: »Kenne ich.« Er sagte: »Was ist los, immer hast du mich getröstet und jetzt hast du die gleichen Probleme wie ich.« Ich antwortete: »Was könnte tröstlicher für dich sein! Das macht es noch viel undenkbarer, dass du entsorgt und durch einen neuen Kühlschrank ersetzt wirst. Da könnte ich mich gleich mit wegwerfen.« Das verstand er, und so wurde es eine sehr schöne, persönliche und intime kleine Feier.Immer öfter stelle ich mir vor, dass mein Sohn erwachsen ist, und was er dann tun und sein wird und was ich tun und sein werde. Neulich wollte er nicht zum Fußball-Training, ausnahmsweise hatte er keine Lust. Ich sagte, leichthin und im Scherz: »Aber du musst trainieren, vielleicht kannst du eines Tages als berühmter Fußball-Profi meine Rente sichern.«Das hätte ich mal nicht sagen sollen. Er hat es ernst genommen. Sobald von irgendeinem berühmten Sportler die Rede ist, sagt er jetzt:»Tiger Woods, kann der seinen Eltern die Rente sichern?«»Locker«, sage ich.»Michael Ballack, kann der es auch?«»Kleinigkeit für ihn«, sage ich.Immer öfter denke ich, dass ich jetzt die Schnauze halten werde, was mein Alter angeht, und dass ich, bevor ich nicht achtzig Jahre alt bin, kein Wort mehr darüber verlieren werde, und danach sowieso schon gar nicht mehr.