Das Beste aus meinem Leben

Heute ist Samstag, nicht wahr?
Ach, Mensch. Samstag, 23. November 2047. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Tag erlebe. Mein Großvater war 72, als er auf dem Heimweg von einer Gemeinderatssitzung umfiel, er lag vorm Haus unter dem Kirschbaum, den er selbst gepflanzt hatte, und war sofort tot. Mein Vater war 73, als er auf dem Heimweg von der Bank, im Auto sitzend und an einer Ampel haltend, ebenfalls sofort tot war. Im Sterben trat er das Gaspedal durch und fuhr quer über die Kreuzung in ein menschenleeres Gemüsegeschäft hinein.

Ich bin jetzt 91. Viel Fisch, viel grüner Tee, viel Sport. Viel Liebe, viel Sex. Kein Fernsehen, kein Bier. Bitte, das ist mein Rezept. Auch Yoga. Als ich 51 war, steckte ich in der Krise. 2007 war das. Paola, meine Frau, schenkte mir Gutscheine für Yoga-Stunden, ich ging erst nicht hin, dann ging ich immer noch nicht hin, danach immerimmer noch nicht. Schließlich ging ich doch hin. Das hat mich gerettet.

Irgendwie glaube ich auch, dass der frühe und plötzliche Tod der beiden Alten viel beitrug. Ich hatte sie immer vor Augen und fürchtete mich vor dem 70. Geburtstag. Also beschloss ich, alles anders zu machen als sie. Sie waren beide große Choleriker, am Schluss regten sie sich Tag für Tag wegen Kleinigkeiten auf, Falschparker vorm Haus, unpünktliche Handwerker. Furchtbar. Alles dergleichen verbiete ich mir.

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91 Jahre, bitte. Yoga hat mich flexibel gehalten. Wenn ich wollte, könnte ich jederzeit am großen Zeh lutschen, aber das tue ich nur zum Einschlafen, undenkbar war das vor vierzig Jahren.

Heute ist Samstag. Vor Wochen kam der Chefredakteur: Im Archiv habe man ein Heft aus dem Jahr 2007 gefunden, da hätten ältere Kollegen noch mal ein Magazin gestaltet. Das wolle man heute, nach vierzig Jahren, wiederholen. Ob ich dabei sei.
Ich sagte, ich hätte nichts mehr geschrieben, seit die Sache mit dem Kühlschrank passierte: Morgens standen sie in der Tür, Klimapolizei, zwei Mann, grüne Uniformen, freundlich: »Ihr Stromverbrauch, also bitte! Herr Hacke!!!« Was denn da los sei…
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Keine Ahnung, kein Ahnung, so gehe es nicht. Was für ein Brummen aus der Küche dringe, ich hätte doch nicht etwa…
Sie kamen einfach rein. Bosch, mein sehr alter Kühlschrank und Freund, kühlte vor sich hin.
Sie nahmen ihn gleich mit.
Ich brüllte und tobte. Versuchte zu erklären. Sammelte Unterschriften. Schrieb an Al Gore. An Bundeskanzler Gabriel. Leser bildeten eine Lichterkette rund um das Klimapolizeipräsidium.

Schließlich bekam ich ihn zurück, ohne Stromkabel. Seitdem steht er in der Küche, ohne zu kühlen. Manchmal stelle ich nachts ein anderswo gekühltes Bier in ihn hinein, entnehme es wieder, trinke aber Grüntee. Er antwortet nicht.
Es war vorbei. Ich konnte nicht mehr schreiben, über nichts mehr. Der Klimawandel hat mich sozusagen verstummen lassen. Ich überlebte durch die großzügige Unterstützung meines Sohnes Luis, der – heute selbst 51 – bei Disney seit Jahrzehnten einen äußerst erfolgreichen Comic-Strip über einen neurotischen, miserabel erziehenden, aber immer das Beste wollenden Vater zeichnet.
»Es geht nicht«, sagte ich jetzt zum Chefredakteur.
»Bitte. Wir erfüllen jeden Wunsch.«
»Ich habe zwei.«
»Bitte.«
»Erstens: zehn Kilowattstunden extra. Zweitens: Das Magazin muss samstags erscheinen. Immer schon wollte ich mal samstags veröffentlichen, nicht immer freitags. Nicht immerimmerimmer ein Freitagsveröffentlicher sein.«

Er erfüllte mir beides. Er sagte, es sei schwieriger gewesen, Extra-Kilowattstunden zu bekommen, als den Erscheinungstag zu verlegen. So schrieb ich dies hier nachts, bei einem unvergesslich kalten Bier, ohne den ewigen Scheißgrüntee, der mich hat 91 werden lassen, nach einer langen Aussprache mit Bosch, über die ich nie etwas erzählen werde. Dies ist mein erster Text seit Jahrzehnten, und es ist Samstag, Samstag, Samstag.

Illustration: Dirk Schmidt