Einen der größten Kämpfe auf Erden führt der Mensch gegen die Ablenkung, die ihn mit mächtigen Mitteln bedrängt. Das heißt, er möchte einen Text verfassen, die Steuererklärung anfertigen, den Flurschrank aufräumen oder den von seiner Frau geforderten Bilderrahmen mit Familienfotos gestalten. Er orientiert seine Sinne auf diese Absicht, fokussiert Körper und Geist, nimmt Text, Steuererklärung, Flurschrank, Rahmen ins Visier, geht in den Startblock, fixiert das Ziel wie der Stier das Tuch des Toreros.
Da macht es Ping. Aus dem Inneren eines im Raum vorhandenen elektronischen Gerätes heraus erklingt ein Ping, und der Mensch kann nicht anders, die gewaltigen Kräfte der Ablenkung zerren an ihm, er riskiert einen Blick: Was könnte die Ursache dieses Pings sein? Was meldet ihm die Welt mit jenem Ping? Ja, er ahnt, es wird nichts von Bedeutung sein, so ist es meistens. Aber es könnte auch..! Es wird doch nicht..? Die Nachricht sein vom Chef, der eine Gehaltserhöhung anbietet, die Information der Geliebten, sie verfüge über einen freien Abend, die Eilmeldung vom Atomschlag gegen Nordkorea?
Nein, es ist nur die Mail eines Zahlungsabwicklers, der daran erinnert, man möge das bei Dünneshaaristkeinschicksal.de bestellte Haarverdickungsmittel bezahlen, was sich mit einem Klick erledigen lasse, na gut, mit sechs. Und weil er mal dabei ist und es sonst womöglich vergisst, erledigt der Mensch dies, um sich danach wieder dem eigentlichen Ziel zuzuwenden – was war das noch mal?
Was können wir tun? Wie können wir uns wehren gegen diese dunkle Macht, die sich nicht nur moderner Apparate bedient, sondern auch querschießender Gedanken, die uns aus der Konzentration reißen: Hast du nicht den Anruf bei Mutter vergessen? Wartet in der Schublade unten links ein Schokoriegel auf den Verzehr?
Psychologen vom Hamilton College im US-Staat New York und der University of Minnesota machten folgenden Versuch: Sie stellten Kindern eine langweilige, jedoch als außerordentlich wichtig deklarierte Aufgabe, ließen ihnen aber auch die Möglichkeit, an einem Tablet zu spielen. Ein Teil der Gruppe wurde gebeten, sich selbst immer wieder zu fragen, ob sie hart an der Sache arbeiteten. Einen anderen Teil forderte man auf, sich selbst in der dritten Person zu sehen, verbunden mit der Frage: Is Hannah working hard? Eine dritte Abteilung durfte sich als Superheld (Batman etwa) verkleiden und wurde per Lautsprecher ständig gefragt: Is Batman working hard?
Ergebnis: Je weiter sich ein Kind von der Versuchung distanzieren konnte, desto besser löste es seine Aufgabe. Wer sich in der dritten Person ansprach, übertraf den, der nur er selbst war. Am besten schnitten die Batmans ab.
Was uns der Lösung des Problems der Ablenkung näher bringt. Konzentration bedarf angemessener Kleidung!
Es ist die zur äußeren Formlosigkeit neigende Zeit, die Menschen wehrlos macht gegen die Versuchungen der Ablenkung. Aber man kann sich mit einer Art formeller Arbeitskleidung gegen diese panzern. Thomas Mann saß nie im Pyjama am Schreibtisch, Angela Merkel trägt, wenn sie arbeitet, stets ihre Kanzlerinnen-Uniform, dem Außenminister Genscher wuchsen durch einen gelben Pullunder Superkräfte zu. Nie würde Bob, der Baumeister, gehüllt in ein Bob-der-Baumeister-Gewand, an anderes denken, als Bob, der Baumeister, zu sein. Auch dieser Text, wie immer in der Rüstung des Ritters Ivanhoe geschrieben, entstand bei äußerster Hingabe. Jedes Ping prallte am Harnisch ab, jeder widrige Gedanke zerschellte am blinkenden Helm, alles Störende durchbohrte die Lanzenspitze. Was Ivanhoe working hard? Yesss, Mylord, he was!
Illustration: Dirk Schmidt