Natürlich denke ich im Moment viel über die Ölpreisproblematik nach. All die armen Rohölproduzenten, die unverschuldet in die Krise geraten sind, weil ihr Produkt immer billiger wird: Saudi-Arabien voran, dessen plötzliche Not, wenn es so weitergeht, im nächsten Sommer noch viele Münchner Juweliere und Hüft-Operateure in den Abgrund reißen wird; Wladimir Putin, der gar nicht mehr weiß, woher er das Geld nehmen soll, um wenigstens die Ukraine weiterhin sachgemäß zu bedrängen; der Emir in Katar, der zusehen muss, wo er nun die finanziellen Mittel auftreibt, um in einigen Jahren die Stadien für die Fußball-WM so zu kühlen, dass es wenigstens keine weiteren Toten gibt; die Fracking-Unternehmer in den USA, die sich dermaßen viel Geld leihen mussten, um ganze Landstriche auszuwringen, zu verwüsten und zu vergiften: von irgendetwas müssen sie doch auch leben. Und nun muss der Iran seine Ware zu Tiefstpreisen auf den Markt bringen; dabei wusste man dort schon seit Jahren nicht mehr, woher das ganze Geld kommen soll für die Vernichtung Israels.
Ist es nicht schlimm, wie wir diese Staaten ausbeuten, nur um billiges Öl zu haben? Sind wir nicht scheußlich, in dieser neokolonialistischen Weise seriöse, wohlmeinende Staats- und Firmenchefs in Bedrängnis zu bringen, die nichts anderes wollen als ein bisschen Luxus für sich, ihre Verwandten und für die paar halb so schlimmen Dinge, die man nun halt mal im Schilde zu führen gezwungen ist, wenn man den Beruf eines Diktators ausübt?
Ich habe dann etwas Interessantes festgestellt. Man denkt ja immer, Rohöl ist Rohöl, und beim Tanken sieht man Super und Super Plus, Super E10 und vielleicht zwei Dieselarten. In Wahrheit aber gibt es Hunderte verschiedener Rohölsorten. Eine der wichtigsten heißt zum Beispiel West Texas Intermediate, es ist im frischen Zustand goldgelb bis mittelbraun, und man sagt, es sei »ein süßes Rohöl mittlerer Dichte«. Dubai Fateh hingegen ist, wie es heißt, »ein mittleres, saures Rohöl«, an Siberian Light werden sein nicht sehr hoher Schwefelgehalt von 0,6 Prozent und seine geringe Dichte hervorgehoben, während Cerro Negro aus Venezuela schwer und schwefelreich ist. Man kann sich an den Namen all der Sorten nicht satt lesen: Antan Blend, Bayou Choctaw Sweet, Brunei Light, Chim Sao, Escalante, Heidrun, Jasmine, Karachaganak Condensate, Mediterranean Sidi Kerir, White Rose … Das liest sich wie eine Cocktailkarte. Oder das Sortiment eines Tabakhändlers.
Und vielleicht liegt hier die Lösung für die Probleme unserer lieben, so unverschuldet in Schwierigkeiten geratenen Freunde: Ihr dürft Eure Ware nicht mehr als Massenprodukt verramschen. Ihr müsst die Besonderheiten hervorheben. Die Hersteller von Olivenöl haben es vorgemacht. Man kann vollständig idiotische Preise nehmen, wenn man den Kunden die Möglichkeit gibt zu sagen:
»Dies ist ein besonders süßes Öl aus einem kleinen Feld vor der Küste Südmexikos, ein Familienbetrieb, die fördern noch selbst, sonntags hilft sogar der Großvater mit an der Pumpe.«
»Nimm diesen Kanister aus lichtgeschütztem Glas, das Öl wird bei Vollmond ganz behutsam gefrackt, Kalifornien, weißt du, Freaks, diese Typen, aber ganzzzz toll, so ’ne Bio-Qualität kriegst du sonst nirgends.«
»Das Öl hier mische ich tropfenweise dem Benzin bei, mein Zahnarzt bringt immer ein Fässchen aus Dubai mit, der kennt den Emir persönlich und kriegt es billiger.
»Schauen Sie, ich weiß eine kleine Tankstelle in Sibrien, zwischen Omsk und Kalatschinsk, waaaahnsinnig netter Russe, freut sich, wenn er mich sieht und versucht immer, mich unter den Tisch zu trinken, bevor ich kaufe, also zwei Flaschen Wodka muss man aushalten, bruhahaha …, ich bringe das im Kofferraum mit, habe da öfter zu tun.«
Na ja, das wäre mein Tipp. Das Manufactum-Prinzip für die Rohöl-Branche. Kostet nichts, ich nehme doch nichts von Leuten in Not.
Illustration: Dirk Schmidt