Von allen Ideen, die das Internet hervorgebracht hat, ist das eBay-Prinzip auf den ersten Blick die eingängigste: ein globaler Online-Marktplatz zum Steigern und Versteigern, Kaufen und Verkaufen von praktisch allem, ein gigantisches Warenhaus ohne eigene Produkte, das nur von der Vermittlung zwischen seinen Kunden lebt. Allein im Geschäftsjahr 2005 werden dort schätzungsweise 70 Millionen Menschen einen Deal abschließen und Waren für mehr als 40 Milliarden Dollar verkaufen. Dieses aberwitzige Volumen und rasante Wachstum hat sicher mit den unbegrenzten Möglichkeiten des Schnäppchenjagens und Geldverdienens zu tun – aber gerade seit dem Erreichen einer gewissen Größe lässt sich noch ein ganz anderes Phänomen beobachten: eBay bildet (gemeinsam mit den vielen kleineren Online-Märkten) eine Art Paralleluniversum der Dinge, in dem Raum und Zeit aufgehoben scheinen, eine virtuelle Dachkammer der Welt, in dem kein Gegenstand jemals mehr verloren geht.Wer einmal auf eBay etwas verkauft hat, kennt den Bewusstseinswandel, den dieser Akt auslöst: Plötzlich gibt es keine wertlosen oder nutzlosen Sachen mehr – die Hand, die ausholt, um ein Ding in den Abfall zu werfen, wird von einer höheren Instanz gestoppt. Die formschöne Zitronenpresse, die so elegant designt ist, dass sie nicht funktionieren kann, das verstaubte Spielzeug aus Kindertagen, das Buch, das man niemals mehr lesen wird: Auf einmal sind sie nicht nur nutzlose Geschenke, Staubfänger, Ballast – sie sind eBay-Ware, und sie haben ein Recht auf Asyl. So sinnlos und hässlich ein Ding für mich gerade scheinen mag: Irgendwo da draußen, am anderen Ende des eBay-Universums, gibt es ganz sicher einen Menschen, der gerade darauf sehnlichst gewartet hat, der noch Freude gerade an diesem Gegenstand haben wird. Es ist, als hätten die Dinge plötzlich ein Karma, einen geheimen Bestimmungsort, den sie irgendwann erreichen müssen – und nur ein Barbar würde ihre Reise vorzeitig beenden, indem er sie unter Kaffeesatz und Kartoffelschalen in der Mülltonne begräbt.Die Befriedigung, die ein eBay-Verkauf mit sich bringt, kehrt die Idee der Profitmaximierung, die man sonst mit einer Auktion verbindet, oft genug um: Gern stehen Aufwand und Erlös, nach Abzug der eBay-Gebühren, eben doch in keinem Verhältnis mehr, wäre der sekundenschnelle Wurf in den Abfalleimer finanziell die sinnvollere Option gewesen. In der Zeit des Fotografierens, Online-Stellens, Verpackens und Auf-die-Post-Tragens der Ware hätte man ja beispielsweise auch zwei gut bezahlte Überstunden im Büro machen können. Der eigentliche Lohn ist jedoch der, dass man den verkauften Gegenstand seiner Bestimmung zugeführt, ihm geholfen hat, seinen richtigen Platz in der Welt zu finden. Man wird Teilnehmer an einem höheren ethischen Projekt, welches man als »Die Ordnung der Dinge« bezeichnen könnte – und man fühlt, Eingeweihte werden es bestätigen, eine Art Aufgeräumtheit der Seele, die man anders nur schwer erreichen kann.Auf der Seite der Käufer treffen wir gleichzeitig immer mehr Menschen, die per eBay ihre Biografien aufarbeiten und Fehler in der Ordnung der eigenen Dinge korrigieren: diese ganz spezielle Lokomotive der Spielzeugeisenbahn, die man als Kind besitzen musste, die einem schicksalhaft bestimmt war, die man aber wegen herzloser Eltern oder wegen nicht vorhandenen Taschengeldes nie in die Arme schließen durfte – wetten, dass sie jetzt eines Tages bei eBay auftaucht, genau beschrieben, identifizierbar bis hin zur Modellreihe und Seriennummer? Muss man nicht annehmen, dass sie all die Jahre auf einen gewartet hat? Nie werden wir den Ausdruck der Qual im Gesicht eines Freundes vergessen, als er erzählte, wie er endlich ein mythisches Phantasma seiner Jugend auf eBay entdeckte, einen Plastikspielzeug-Bunker aus Japan namens »German Secret Strong Point« – und dann doch in letzter Sekunde überboten wurde. In diesem Moment gab es keine Gerechtigkeit mehr für ihn – aber die Wahrheit ist wohl die, dass dies noch nicht SEIN Plastikspielzeug-Bunker war. Der ist noch da draußen, im unermesslichen Paralleluniversum der Dinge, auf dem Weg zu ihm.