Ildikó von Kürthys Heldinnen, die Ich-Erzählerinnen ihrer Bücher, sind allesamt von derselben Charaktermischung geleitet: einem dauerhaften Gefühl der Unzulänglichkeit bei gleichzeitiger übersteigerter Wahrnehmung des eigenen Selbst. Cora Hübsch, Amelie Sturm, Annabel Leonhard, Elli Dückers und neuerdings Linda Schumann aus dem Roman Höhenrausch, der seit vielen Wochen die Bestsellerlisten anführt: fünf Frauen in ihren frühen Dreißigern auf der wortreich betriebenen Suche nach dem richtigen Mann. Die Diagnose zu Beginn des ersten Romans Mondscheintarif von 1999 – »Irgendetwas läuft grundlegend falsch in meinem Leben« – ist bis heute Motto und Motor des Erzählens von Kürthys, ihrer Geschichten von Unterlegenheitsgefühl (»Ich habe nie dazugehört. War immer zu dick, zu klein, zu unwichtig, zu nett«), tiefsitzendem Bildungskomplex und dem Leiden an der nicht enden wollenden Vorläufigkeit der eigenen Biografie trotz vorangeschrittenen Alters. Von Kürthys Romane haben sich bislang knapp fünf Millionen Mal verkauft, und wenn man sich fragt, warum jede dieser Liebesgeschichten mit eingestreuten Weisheiten über das Geschlechterverhältnis wieder so erfolgreich ist, dann spielen vielleicht zwei Dinge eine Rolle: Zum einen bündeln die Romane das ansonsten in losen Rubriken und Kolumnen verstreute Themenfeld der Frauenzeitschriften in einer stringenten Erzählung. Ildikó von Kürthy ist Allegra und Cosmopolitan mit den Mitteln des stream of consciousness: Ununterbrochenes Augenmerk auf den eigenen Körper als Literaturgenre. Zum anderen aber passt die Lebensform der Heldinnen, die fortwährende Unentschiedenheit ihrer Existenz, exakt in eine Zeit, die den Umgang mit anhaltender Unsicherheit im Berufs- und Privatleben zu einem ihrer bestimmenden gesellschaftlichen Themen gemacht hat. Freizeichen, Herzsprung oder Blaues Wunder bilden den Soundtrack der Generation Praktikum: Endlosmonologe der Sehnsüchte und Wünsche, in denen dauerhaft unklare Lebensverhältnisse mit unerbittlichem Anspruch auf Selbstverwirklichung kollidieren. Ein wiederkehrendes Missverständnis bei der Aufnahme dieser Romane besteht darin, dass ihre Beschreibungen mitten aus dem Leben gegriffen, dass sie spontane Erlebnisprotokolle einer Ich-Erzählerin seien – was die Bücher ja sprachlich und stilistisch auch vorgeben, ihre immergleiche mündliche Diktion, ihr Charakter eines improvisierten, von Abschweifungen durchzogenen Lebensberichts. Gerade die Lektüre von mehreren Ildikó-von-Kürthy-Büchern innerhalb kurzer Zeit zeigt aber eindringlich, dass man es eher mit einem routiniert gehandhabten Baukasten zu tun hat, dessen Versatzstücke von Mal zu Mal ein wenig anders kombiniert werden. Tatsächlich ist es erstaunlich, wie freimütig in den Romanen nicht nur Handlungsmuster und Figurenkonstellationen wiederholt werden, sondern auch ganze Absätze mit konkreten Beobachtungen. Eine kleine Auswahl von Erkenntnissen, die in mindestens vier der fünf bislang erschienenen Bücher auftauchen, zum Teil im Wortlaut identisch: Dass Wohnungen von Männern minimalistisch eingerichtet sind und von ihren neuen Freundinnen sofort mit Lichterketten und Stofftieren verziert werden. Dass Männer im Gegensatz zu Frauen niemals Verkehrsmitteln hinterherrennen. Dass »alphabetisch geordnete Videokassetten« im Wohnzimmer untrügliches Zeichen eines un-interessanten Mannes seien. Dass die Frau am Morgen nach der ersten gemeinsam verbrachten Nacht zuerst aufstehen und im Bad verschwinden soll, damit der Mann ihre körperlichen Unzulänglichkeiten nicht erkennt. Usw. Usw. Man darf all diese Wiederholungen aber nicht als kreativen Mangel der Schriftstellerin von Kürthy bewerten. Dies wäre vielleicht der Fall, wenn es sich bei den Geschichten tatsächlich um literarische Erzählungen handeln würde und nicht um Beratungshandbücher für das vorläufige Leben, die Ildikó von Kürthy mit großer Disziplin produziert, Jahr für Jahr in neuer Auflage. Zum Wesen von Neuauflagen gehört es aber, dass sie zum größten Teil bereits Bekanntes enthalten.