»Komm, sie tanzen!«, hatte sie geschrieben, in einer Märznacht um drei nach zwölf, die genaue Uhrzeit ist vom häufigen Lesen für alle Zeiten im Gedächtnis geblieben.
Sie war kurz in den Keller der obskuren Kneipe hinuntergegangen, um Zigaretten zu holen, und hatte dort das ältere Paar vor der Jukebox entdeckt. Die SMS, nach oben in den Gastraum getippt, war der Beginn einer Nacht, in der alles möglich schien. Seit Langem war diese Nachricht auf dem Handy gespeichert, und in der U-Bahn oder beim Warten auf eine Verabredung brachte sie von Zeit zu Zeit die Erinnerung zurück. »Komm, sie tanzen!«: Drei Wörter, die sofort ihr Gesicht, ihre Stimme ins Jetzt katapultierten.
Fast jedes Handy wird im Lauf der Jahre zu einem Tagebuch aus Kurznachrichten, in dem bedeutsame Momente festgehalten werden. Sein Ende fällt auf den Tag, an dem das Gerät nicht mehr richtig funktioniert und gegen ein anderes ausgetauscht wird. Denn das neue Telefon überträgt zwar die Rufnummern und Fotos, nicht aber die SMS. Die SIM-Karte, sagt der Spezialist im Handy-Laden, kann bei vergleichbaren Modellen höchstens 15 Nachrichten retten, beim Wechsel auf das iPhone aber keine einzige. Die Speichersysteme sind inkompatibel. In Internetforen häufen sich deshalb die Hilferufe, und tatsächlich scheint es den Notbehelf zu geben, sich die alten SMS zuerst auf den Computer zu laden und sich dann als E-Mails auf das neue Telefon zu schicken. Doch die einfache Übertragung als SMS, in der vertrauten Anordnung, ist unmöglich.
In dem Moment, in dem die SIM-Karte im neuen Telefon steckt, kann das Gespeicherte nicht mehr angezeigt werden. Und das Merkwürdige ist: Es gibt keinen Ort mehr, an dem das ausrangierte Archiv lagert. Darin besteht das eigentlich Trostlose dieser Umstellung: dass das unbenutzbar Gewordene auch nicht mehr zu lokalisieren ist. Denn das Speichermedium der verlorenen SMS lässt sich im Nachhinein nicht genau bestimmen. War es das alte Handy? Nein, sonst würde es die Nachrichten auch ohne SIM-Karte weiterhin anzeigen. War es also die Karte? Keinesfalls, denn sie steckt ja auch in dem neuen Gerät. Nur im Zwischenraum von Hardware und Software, in der einen möglichen Kombination, ließ sich das Eigene bewahren. Nichts ist einem deshalb so fremd wie ein ausgedientes Handy.
Vergessen liegt es in der Schublade, nur noch Gehäuse, die Glasfläche des Displays auf eine Weise abgenutzt, wie man es in den Zeiten des Gebrauchs niemals wahrgenommen hätte. Das, was es einmal belebte, ist für immer verschwunden.
Fotos: Stills-Online