Der heutige Freitag ist Weltpolio- und Weltspartag. Am Weltpoliotag lernte jedes Kind: Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter. Am Weltspartag, der aus einer Zeit stammt, in der das wichtigste »Finanzprodukt« die Spardose war, gab es in den Banken Luftballons oder billiges Spielzeug, das nach genau einmal Spielen die Metamorphose zu Plastikschrott vollständig abgeschlossen hatte. Am Weltspartag kamen die Kinder in die Bank, um ihre Spardosen an graue, aber geheimnisvolle Bankmenschen zu übergeben, damit diese den Inhalt in eine kleine, aber faszinierende Geldzählmaschine kippten. Die Maschine sprach: 14,90 Mark, 21,34 Mark, 28,12 Mark. Das Vermögen wuchs.
Die meisten Länder begehen (feiern wäre gerade zu viel gesagt) den Weltspartag am 31. Oktober. In Deutschland, wo der 31. Oktober in manchen Bundesländern bereits vom Reformationstag belegt wird, muss der Weltspartag auf den letzten Arbeitstag vor dem 31.10. ausweichen. Was ihn in diesem Jahr in eine ungewollte Gemeinschaft mit dem Weltpoliotag zwingt.
Diese Konstellation ist insofern interessant, als es bei beiden Anlässen, erstens, um Vorsorge geht und, zweitens, beide Tage im Grunde überflüssig sind. Sowohl die Poliomyelitis als auch das Sparen gelten als weitgehend ausgerottet. In Teilen Afrikas kommt es noch immer vereinzelt zu Ausbrüchen von Polio. Dass aber der Weltspartag noch immer existiert, weiß vermutlich nicht einmal der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann.
Der Weltspartag ist 1924 eingeführt worden, um die Menschen nach einer großen Inflation dazu zu bewegen, ihr Geld nicht sofort wieder auszugeben. Er sollte Vertrauen in die jeweilige Währung herstellen. Einerseits ist er heute bloße Erinnerung an Sparschweine und an Spardosen, die als Kleinzylinder in bunten Farben daherkamen. Andererseits ist er Grundlage vieler großer Erzählungen: Denn wer den Weltspartag ernst nahm (und in den großen Ferien ein wenig malochte), war mit 18 so reich, dass er sich einen gebrauchten VW Käfer kaufte, mit dem er bis zum Atlantik durchstieß. Oder bis ans Mittelmeer.
Ob die Banken heute nun gut oder böse sind, wer weiß das schon? Was jedoch den Bankmenschen schon damals etwas unheimlich machte, wirkt heute wie ein Fingerzeig: Jedes Kind hütete seine Spardose, niemand konnte sie öffnen, nicht einmal die Eltern. Der Bankmensch aber hatte eine Macht, die über das Sparen, mithin über das Private hinausging: Am Weltspartag nahm er die Dosen entgegen, und er öffnete jede einzelne mit seinem, dem immer gleichen Schlüssel.