Die armen Verwandten

Laufend stöbert der Boulevard gescheiterte Halbgeschwister von reichen Prominenten auf. Warum?

(Im Bild: Madonna: kaltherziger Star oder vorschnell verurteilt?)

Jetzt also Madonna. »Ihr älterer Bruder schläft unter der Brücke«, meldeten die Boulevard-Portale vor einigen Tagen; »während die Multimillionärin im Luxus schwelgt«, schlage sich der 55-jährige Anthony Ciccone als Obdachloser in Michigan durch. So aufgeregt diese Nachricht auch präsentiert wurde: Madonna ist nur ein weiterer Fall in der langen Reihe von Stars, die einen Angehörigen offenbar ungerührt in den Ruin treiben lassen.

Allein in der jüngsten Vergangenheit tauchten ganz ähnliche Meldungen über Elton Johns Bruder Geoff Dwight, David Beckhams ältere Schwester oder Rod Stewarts Schwiegermutter auf. Der klassische deutsche Fall heißt Lothar, Halbbruder von Gerhard Schröder.

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Die Enthüllungen folgen immer dem gleichen Erzählmuster: Nie darf die genaue Taxierung des Starvermögens fehlen (Madonna 400 Millionen, Elton John 200 Millionen, Beckham mehr als 150 Millionen Euro); auf der anderen Seite werden die mageren Sozialhilfesätze berechnet. Ist das Showgeschäft wirklich überfüllt von skrupellosen Prominenten? Auffällig ist, dass die Meldungen den Skandal im Kleingedruckten allesamt relativieren. Die Geschwister entpuppen sich als Halbbrüder, die seit Jahrzehnten keinen Kontakt zueinander haben (Elton John), hinter der heutigen Distanz steht eine lange Geschichte der Hilfsbereitschaft (David Beckham), oder, wie es im Zusammenhang mit Madonnas Bruder heißt: »Die Story ist nicht wirklich neu.« Die Berichte haben also in den seltensten Fällen ein Fundament in der Wirklichkeit.

Das deutsche Äquivalent: Lothar, der Halbbruder von Gerhard Schröder.

Worin besteht aber das Vergnügen, im engsten Umfeld des Prominenten die Schattenseiten seines Erfolgs zu lokalisieren? Wenn man bedenkt, dass sich in der Wahrnehmung der Stars Bewunderung und Neid, Faszination und Abscheu unaufhörlich vermischen, dann bietet die Verwahrlosung ihrer eigenen Angehörigen den idealen Schauplatz, um den Höhenflug ein wenig zu stutzen. Reichtum und Erfolg, so die eigentliche Aussage, sind nur durch ein Opfer in nächster Nähe zu erkaufen; wie durch ein physikalisches Gesetz muss das übermäßige Glück des einen Familienmitglieds durch das übermäßige Unglück eines anderen ausgeglichen werden. In Gestalt des verarmten Verwandten nähert sich der Star also für einen Augenblick wieder der Lebenswelt des Publikums an. Denn wenn man seine Familie als Ganzes betrachtet, pendelt sich sein Schicksal im Bereich von Normalnull ein.

Genau in dieser Rechnung besteht die Funktion der Skandalberichte. Inwieweit sie den wahren Gegebenheiten in den Familien Ciccone, Beckham oder Dwight entsprechen, das spielt keine Rolle.

Fotos: AP, DPA