Ein Nähe-Distanz-Problem

Was treibt Frauen dazu, in aller Öffentlichkeit ihren Männern Pickel auszudrücken?


Egal ob entlausen oder Pickel quetschen: Es geht um das Erfolgserlebnis.

Das Leben ist wieder schön, denn der verdammte Sommer ist vorbei. Und damit einer der größten Schrecken der Neuzeit: Frauen, die ihren Männern in aller Öffentlichkeit und in aller Seelenruhe die Pickel ausdrücken. Erst am Rücken, dann auf der Brust, dann am Hals, dann am Kinn, dann in der Ohrmuschel. Vielleicht habe ich in diesem Jahr einfach zu viel an Stränden gelegen, aber meine privaten empirischen Forschungen ergeben: Diese Unsitte nimmt zu, weltweit. Nur: warum? Und: warum so öffentlich?

Mag sein, dass Strände und Schwimmbäder als intime, halb öffentliche Räume empfunden werden, in der die Hemmschwellen tiefergelegt sind. Man liegt halb nackt nebeneinander auf einem Laken, es ist quasi wie zu Hause – also benimmt man sich auch wie zu Hause. Doch warum quetschen Frauen weit jenseits der Pubertät so gern die Mitesser ihrer Männer aus? In einem Onlineforum schrieb eine: »Ich finde Pickel- und Mitesserausdrücken total klasse! Das ist immer so ein Erfolgserlebnis, wenn da was rauskommt.« Doch warum lassen sich das die Männer gefallen? Ist es nicht enteiernd genug für sie, die Handtaschen ihrer Frauen zu tragen oder zum Pilates mitzugehen?

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Der Fairness halber muss man zugeben: Die Welt teilt sich in Pickelquetscher und solche, die das unsäglich finden. Erstere sehen es als intimen Vertrauensbeweis, als liebevolle Zuwendung, vergleichbar mit dem gegenseitigen Lausen aus glücklichen Steinzeittagen, die anderen als unerträgliche Grenzüberschreitung, als eine Szene live aus einem Charlotte-Roche-Roman. Der Freiburger Soziologe Matthias Riedel hat das Pickelausdrücken sogar in seine 2008 veröffentlichte Studie über Alltagsberührungen in Paarbeziehungen aufgenommen, als eine von 15 nichtsexuellen Kommunikationsformen neben Streicheln, Kraulen, Kitzeln, Massieren, Füßeln und Händchenhalten. Das verblüffende Ergebnis der Befragung: Nicht nur Frauen drücken beim Partner zu. 15,5 Prozent der Frauen bekannten sich dazu, 14,3 Prozent der Männer. Und es ist offensichtlich eine Generationenfrage.

Bei den unter 29-Jährigen sind es 23 Prozent, bei den 40- bis 49-Jährigen immerhin noch 16 Prozent – und dann setzt jäh der Ekel ein: Bei den über 50-Jährigen quetschen nur noch sechs Prozent die Pickel des Partners aus.

Vielleicht ist das ein Anblick, an den man sich in einer immer distanzloseren Welt gewöhnen muss, ebenso wie an Menschen, die im Auto an der roten Ampel in der Nase popeln oder in der U-Bahn ihre Nägel schneiden. Das Leben wird von Tag zu Tag ein bisschen öffentlicher. Und, seien wir ehrlich, nicht nur schöner.

Fotos: Reuters (1), DPA (1)