Pius Heinz hat mit nur 22 Jahren die Poker-Weltmeisterschaft in Las Vegas gewonnen.
Erst war es nur ein vages Gefühl. Die Art von Gefühl, wie es die Midlife-Crisis hervorzubringen scheint: Alle werden immer jünger. Als mittelalter Mann schiebt man solche Gefühle routiniert beiseite, weil man gelernt hat, dass es so etwas wie eine Midlife-Crisis gar nicht gibt. Außerdem ist quasi täglich zu hören, dass wir in einer Gesellschaft leben, die immer älter wird. Gut, FDP-Chef Philipp Rösler ist 38 und Familienministerin Kristina Schröder erst 34 Jahre alt. Aber war nicht Claudia Nolte (heute Crawford) erst 28, als sie 1994 Familienministerin wurde? Alles ruhig also, alles wie immer. Aber das Gefühl ging nicht weg.
Ein genauerer Blick auf die Angelegenheit zeigt, dass rätselhafterweise tatsächlich alle immer jünger werden. Erst vor zwei Wochen gewann ein Deutscher namens Pius Heinz die Weltmeisterschaft im Pokern und strich mehr als acht Millionen Dollar ein. Er ist 22 Jahre alt. Seit 2008 hat kein Spieler, der älter als 24 Jahre war, die einst von Haudegen dominierte Poker-WM gewonnen. Das Mittelfeld der Fußball-Nationalelf besteht aus Mesut Özil, 23, Toni Kroos, 21, Mario Götze, 19, und dem etwas in die Jahre gekommenen Bastian Schweinsteiger, 27. Lena Meyer-Landrut gewann den Eurovision Song Contest im vergangenen Jahr als 19-Jährige. Im gleichen Jahr veröffentlichte Helene Hegemann als 18-Jährige ihr Erfolgsbuch Axolotl Roadkill.
Im vergangenen Monat verkündeten Wissenschaftler: Kanadische Mütter werden immer jünger. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung meldet: Raucher werden immer jünger. Gleiches gilt ausweislich des Internets für Übergewichtige, Ausgebrannte, Pleitiers, Hörgeräte-Kunden, Chefs, Komasäufer, Internet-Hacker, Sexverbrecher, Herbstscharnier-Opfer, den Kneipp-Verein Bocholt sowie Obdachlose in Österreich. Für jeden Einzelfall mag es eine logische Erklärung geben, aber dass alle zugleich immer jünger werden?
Der Schluss, so nahe er zu liegen scheint, dass die Alten damit abgemeldet wären, führt in die Irre. Mehr als 7000 Webseiten warten mit der Nachricht auf, dass Senioren immer jünger werden. Einerseits ein Paradoxon, andererseits nur logisch: Es werden wirklich alle immer jünger. Was heute verwirrende Wirklichkeit zu sein scheint, hat der Autor F. Scott Fitzgerald in den 1920ern als bewegende Fiktion erdacht: In seiner Kurzgeschichte Der seltsame Fall des Benjamin Button kommt der Held als Greis zur Welt und stirbt als Säugling. Fitzgeralds 89 Jahre alter Text wirkt bei jedem Wiederlesen frischer denn je.
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