Vielen Dank für die Einladung, aber: ohne mich!

Donna Leon - Notizen aus Venedig

So, Mädels, da wären wir nun angelangt im 21. Jahrhundert. Ganz schön lange her, die Zeiten, als wir der Geschäftswelt nur unsere Fähigkeiten als Tippsen und Kaffeeaufbrüherinnen zu bieten hatten und ab und zu ein bisschen Arsch und Titten zeigen durften, nur um die Jungs bei Laune zu halten. Ich sag’s euch, es ist herrlich hier und heute in der Welt der Gleichberechtigung, wo man uns für unsere Intelligenz und unseren Fleiß schätzt und dafür, dass wir humorvoll und charmant bleiben, auch wenn’s brennt.

Hmm, werfen wir doch mal einen Blick auf eine E-Mail, die mich eben erreicht hat. Man bietet mir an, in der Jury mitzuwirken, die die Hotelleitung des neuen »Venice Hilton« bei der Wahl der Miss Venice Hilton unterstützt. Augenblick mal – hat das neue »Venice Hilton« nicht in der alten Molino Stucky eröffnet, der stillgelegten Kornmühle? Die man ersten Restaurierungsplänen zufolge noch in kostengünstige Wohnungen für bedürftige Venezianer umwandeln wollte? Tja, anscheinend wollten die wohl keine bezahlbaren Wohnungen, diese nichtsnutzigen bedürftigen Venezianer. Wie sonst hätte aus einem derart riesigen Gebäude ein Luxushotel werden können? Mal sehen, was wir hier haben: Man fragt mich, ob ich zu der Jury gehören möchte, deren Aufgabe es ist, eleggere la più determinata ed affascinante ragazza del Veneto. Hmm, die zielstrebigste und charmanteste junge Dame des Veneto soll gewählt werden. Zielstrebig und charmant: Das ist ja wohl mit Sicherheit mehr als ausreichend für eine Frau, die in der Geschäftswelt ernsthaft Karriere machen will, oder nicht? Und was, bitte schön, hat man mit dieser affascinante ragazza vor? Mein Gott, man schickt sie auf die Hilton-Universität. Dort werden die Topmanager der Hilton-Kette geschult – considerati tra i migliori nel mondo, wie man mir versichert. Hilton hat also inzwischen seine eigene Universität, die zu den besten der Welt gehört: Du liebe Güte, hat das jemand den Leuten in Oxford gesagt? Weiß der Dekan von Harvard Bescheid? Und machen sie sich in Heidelberg schon in die Hosen?

Mal sehen, was denen noch so vorschwebt. »Bla bla bla… Non bellezza fine a se stessa, ma voglia di fare e tanto entusiasmo.« Ach so, verstehe. Die wollen nicht nur Arsch und Titten, und die »Miss« muss auch nicht einfach nur hübsch sein, sondern zudem willig und begeisterungsfähig. Intelligenz? Erfahrung?Fremdsprachenkenntnisse? Soll das ein Witz sein? Nö, es reicht, wenn ein Mädchen (sie wollen keine Frauen dort, nur Mädchen) willig und begeisterungsfähig ist. Vermutlich wird weiblichen Hotelgästen im »Hilton« nicht abverlangt, determinata oder affascinante zu sein, sondern nur reich.

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Leider muss ich das Angebot, in der Jury zu sitzen, ablehnen. Wissen Sie, das »Hilton« hat im Gegensatz zum »Cipriani« keinen Außenpool inmitten einer großen Grünfläche, von daher besteht keine Aussicht auf einen wirklich stilvollen Bademoden-Wett-bewerb. Und warum sollte man in einer Jury sitzen wollen, die einer Frau eine Turbokarriere im Hotelmanagement beschert, wenn man sie nicht im Bikini sehen darf?

Aus dem Amerikanischen von Stephan Klapdor

Illustration: Finn Campbell-Notman