Mal ganz offen: 100 Gramm Avocado enthalten rund 15 Gramm Fett, viel Kalium - und einen Kern, mit dem Kinder gern basteln.
Die Spielpausen des Super Bowl sind für Fernsehwerbung das, was der Louvre für die Kunst ist: Was dort gezeigt wird, ist Weltklasse. Firmen wie Coca-Cola und Volkswagen produzieren Spots nur für diesen Anlass, wenn hundert Millionen Amerikaner beim Finale der Football-Liga vor den Fernsehern sitzen. Dreißig Sekunden Reklame kosten vier Millionen Euro. Dieses Jahr wurden Autos von BMW beworben, Bier von Budweiser – und die Avocado. Der Spot stammte vom Verband der Avocado-Importeure aus Mexiko. Die Handlung: Seit Urzeiten wird jedem Land ein Markenzeichen zugeteilt – Australien bekommt das Känguru, China den Ginkgo-Baum, und Mexiko zieht den Hauptgewinn: die Avocado.
Die Frucht mit der dunkelgrünen Schale erlebt momentan einen Boom. Der Verkauf in den USA hat sich in den vergangenen 15 Jahren vervierfacht. In Deutschland hat sich der Konsum seit 2008 mehr als verdoppelt. Das liegt zum einen daran, dass die Deutschen Geschmack an Guacamole gefunden haben, dem Brei aus Avocado und Kräutern: Kaum eine Grillparty, auf der die grüne Paste nicht zu finden wäre. Zum anderen passt die Avocado perfekt zum Zeitgeist aus Gesundheitsbewusststein und Fleischverzicht. In den Großstädten scheinen pausenlos Burrito-Läden aufzumachen. Dort ist die Zutat Avocado so wichtig, dass 2014 eine Empörungswelle über die USA schwappte, nachdem im Internet das Gerücht aufgetaucht war, die Imbisskette »Chipotle« müsse wegen Lieferproblemen auf Avocados verzichten. Unter dem Hashtag #savetheguac – Rettet die Guacamole – priesen Hunderte von Nutzern auf Twitter die Vorteile der Avocado: viel Nährwert, kaum Cholesterin.
Einige dieser Kommentare waren so überschwänglich, dass es sich um eine Marketing-Aktion gehandelt haben könnte. Denn um die Frucht bekannt zu machen, ist der Avocado-Lobby seit mehr als vierzig Jahren jedes Mittel recht: In den Neunzigerjahren verteilten Menschen in Avocadokostümen in Innenstädten ihre Früchte. Es folgten Werbespots, Plakate und neuerdings Wirbel im Internet – bei Facebook hat die Avocado mehr als 50 000 Fans. Der Erfolg, vor allem in Europa, sei hauptsächlich der Werbung zu verdanken, sagt Sergio Torres, Manager bei Camposol, einem der weltweit größten Avocado-Lieferanten. Das Marketingbudget der Avocado-Industrie beträgt allein in den USA rund vierzig Millionen Euro pro Jahr, zehnmal mehr als für die Mango, die im Supermarktregal oft gleich daneben liegt. In Deutschland startete im vergangenen Jahr eine neue Kampagne mit Probierständen in Supermärkten. Der Slogan: »Entdecke den Aromagipfel«.
Dass gerade die Avocado zum Massenprodukt aufgebauscht wird, hat einen einfachen Grund: Sie ist für Händler ein wahr gewordener Traum. Sergio Torres kommt ins Schwärmen: Die Avocado sei einfach anzubauen, relativ leicht zu ernten, robust, transportfähig. Wenn man sie im richtigen Moment vom Strauch pflückt, beginnt dann ein langsamer Reifeprozess, der sich über mehrere Wochen hinziehen kann. Man kann die im Winter geernteten Früchte per Schiff aus Mexiko oder Peru nach Europa schicken, ohne dass die Fracht unterwegs verdirbt. Und im Sommer wachsen Avocados auch in Spanien und Israel. So sind sie ganzjährig verfügbar – ebenfalls wichtig, wenn man eine Frucht als Grundnahrungsmittel vermarkten will.
Die Sorte, die mit Abstand am häufigsten im Supermarktregal liegt, ist die Hass-Avocado. Dass es die überhaupt gibt, ist reiner Zufall. Benannt ist sie nach ihrem Entdecker Rudolph Hass, einem Briefträger aus Kalifornien. Vor mehr als achtzig Jahren experimentierte er in seinem Garten mit verschiedenen Züchtungen. Nur eine Pflanze zeigte sich immun gegen jeden Züchtungsversuch, sie wuchs unbeirrt vor sich hin. Also ließ Hass sie stehen und kümmerte sich nicht weiter – bis seine Kinder die Früchte des Baums probierten. Sie waren begeistert: Das Fleisch war besonders weich, die Schale aber robust. Hass verkaufte Triebe des Baumes an andere Züchter weiter, bald war sein Zufallsfund ein Hit unter Avocadobauern auf der ganzen Welt. Reich wurde Hass damit nicht: Weil sich von jedem Hass-Strauch neue Triebe abschneiden ließen, verbreitete er sich auch ohne das Zutun von Rudolph Hass. Bis heute stammt jede der mehr als fünf Milliarden jährlich verkauften Hass-Avocados von dieser einen Pflanze ihres Entdeckers ab. Die Nachfahren von Rudolph Hass pflegten die Pflanze nach seinem Tod weiter, und nachdem der Mutterbaum im September 2003 von einer Krankheit befallen worden und eingegangen war, gab der Präsident der kalifornischen Avocado-Bauernvereinigung der Los Angeles Times ein Interview, in dem er sagte, einige seiner Kollegen hätten vor Trauer geweint.
In Deutschland ist die Hass-Avocado noch für etwas anderes gut als für Guacamole oder Salat: Kaum ein Foto bekommt unsere Online-Redaktion so oft zugeschickt wie eine Aufnahme von Supermarktschildern mit der Aufschrift »Avocado-Hass« oder »Hass-Avocado«, versehen mit Kommentaren wie: »Warum der Hass?« oder »All you need is love«.
Foto: Bela Borsodi