Wie aus mailändischen Panettoni neapolitanische Babàs wurden

Sauerteig galt früher als Häresie in der italienischen Backkunst. Dann kam Familie Pepe aus dem neapolitanischen Hinterland und revolutionierte den Festtagskuchen des Nordens. Heraus kam Babà – in Rum getränkter Hefeteig-Kuchen. 

Immer da, jeden Tag, außer er steht im Fernsehstudio: Prisco Pepe in der Backstube der Familie.

Foto: Oliver Meiler

Babà! Manchmal ist der Klang eines Wortes ja schon die halbe Wonne. Im Neapolitanischen schreibt sich Babà, ein in Rum getränktes Gebäck, mit Doppel-b in der Mitte: Babbà also. Doch ausgesprochen sind es höchstens eineinhalb b, eher eineinviertel, das ist ganz wichtig. Sonst verliert der Babà seine Weiche. Und dann das betonte Schluss-a: ausgehaucht, mit weit offenem Mund, es soll sich verlieren wie eine süße Luftschwade. Babbhaaa.

Rezept für Babà Napoletano

Dieses Rezept für fluffige Hefeküchlein mit Rum stammt aus Neapel und gelingt mit viel Ruhezeit und liebevoller Zubereitung.

Sant’Egidio del Monte Albino, eine Kleinstadt im dicht verbauten Hinterland von ­Neapel. Der glitzernde Golf ist schon vergessen, der Vesuv, Pompeji, und die Costiera Amalfitana ist erst eine Verheißung hinter dem Berg, den Monti Lattari. Hier kommt man nicht einfach so vorbei, außer man will zu »Pepe Mastro Dolciere«, der Patisserie an der Via Nazionale. Zweistöckige Häuser­ reihen sich da an der Straße, wie zufällig hingewürfelt, die Gehsteige sind vollgeparkt. Manche Häuser in der Umgebung stehen seit Jahrzehnten halb fertig gebaut da, irgendwann ging halt das Geld aus. Der Kleiderladen One Fashion hat sich einen zehn Meter hohen ­Eiffelturm gebastelt und über den Eingang gestellt, man sieht ihn von weither, in der Nacht ist er beleuchtet. Doch Paris ist weit weg.

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Das Geschäft der Familie Pepe, gegründet 1995, ist in einem dieser zweistöckigen Gebäude untergebracht. Es nimmt fast das ganze Erdgeschoss ein, Hausnummern 2 und 4. Der Putz unter den Balkonen darüber blättert ab, auf einem hängen Unterhosen zum Trocknen. Die Schiebetür führt dann aber in eine schöne und bunte Welt, Glas und Holz und Marmorfliesen, rote Glockenlampen. Der Ober trägt Schwarz-Weiß, fast schon Paris. Vor ein paar Jahren haben sie alles
renoviert. Pepe sei eine »Rose in der Wüste«, sagte einmal Iginio Massari, der berühmteste Konditor Italiens, aus Brescia im Norden, und das war von allen Auszeichnungen die schönste. Plötzlich stand Sant’Egidio auf der Landkarte.

Die Theke zieht sich durch das ganze lange Lokal, alle Sünden in der Auslage. Prominent mittendrin: der handgroße Babà in seiner üblichen Pilzform und daneben, in der Variation des Hauses, der Delizia San Gilio, bemäntelt mit Büffelmilch und Orangencrème. »Molto pop«, sagt einer der vielen jungen Angestellten der Pasticceria, der Babà sei »sehr im Trend«.

In der Backstube arbeiten Prisco und Giuseppe Pepe, an der Kasse des Lokals steht ihre Schwester Anna. Ihr großer Bruder Alfonso starb vor drei Jahren. Er war der »Frontmann«, sagen die Geschwister. Man sah ihn oft im Fernsehen, in Italien gibt es noch viel mehr gastronomische Programme als in anderen Ländern. Auch für Bäcker. Prisco und Giuseppe haben dann auch diesen Showpart von ihm übernommen: Schon dreimal haben sie bei Artisti del Panettone mitgemacht mit ihrem Panettone aus Sauerteig. Sauerteig? Früher war das eine Häresie. Dann kamen die Pepes aus Sant’Egidio und revolutionierten den Festtagskuchen des Nordens, kandierten dafür Früchte von der Amalfiküste, und der Panettone schmeckte gleich viel südlicher.

»Molto pop«, sagt einer der vielen jungen Angestellten der Pasticceria, der Babà sei »sehr im Trend«

Die zwei tragen hohe, weiße Hauben bei der Arbeit, wie die Chefs großer Restaurants eben. Und natürlich sind sie große Chefs. Erfunden haben den »Baba au rhum« eigentlich die Franzosen im 18. Jahrhundert, als Kranzkuchen. Wobei: Noch ursprünglicher kam er wohl aus Polen. Aber erst in Neapel, sagt Prisco Pepe, sei er zu dem geworden, was er ist. »Wir haben ihn perfektioniert.«

In der Backstube läuft Gossip von der römischen Rockband Måneskin im Radio, ziemlich laut. Prisco, 54, löst eine Handvoll Teig aus der Masse, dreht ihn schnell zwischen den Fingern und presst dann kleine Kugeln aus der Faust, eine nach der anderen, alle gleich groß, fast aufs Gramm gleich schwer. Er macht das schon so lange, jeden Tag neu, obschon er ein Star ist. Er könnte die Handarbeit auch den Mitarbeitern überlassen.

Die kleinen Kugeln legt Prisco nun in Formen, sie gehen darin auf, später kommen sie in den Ofen. Und wenn sie dann mal goldbraun gebacken sind, bringt Giuseppe, 48, das Bad für die Tränkung: Wasser, Zucker und Rum von Luxardo Mambo Dry. Er ersäuft die Babàs in der Flüssigkeit, so nennen sie das, zehn Minuten lang. Wie Schwämme sollen sie sich aufpumpen. Dann zieht er jeden Babà einzeln aus dem Bad, drückt mit beiden Händen einen schönen Teil der Flüssigkeit aus ihnen heraus und legt sie nebeneinander auf ein Blech. »Das Schöne daran ist, dass der Babà so einfach und leicht ist«, sagt Prisco. Natürlich hängt alles an der Dosierung, an den Zutaten.

Vom Rum bleibt nur eine Geschmacksnote übrig, sehr süß ist der Babà nicht. Auch Kinder essen Babà in Neapel. Überhaupt essen in Neapel alle Babà. Man bringt sie mit fürs Sonntagsessen bei den Großeltern. Man isst sie auf der Straße beim Gehen, wie man ein Stück Pizza isst. Man hat dann einen verklebten Mund, das Kinn trieft. Das ist nicht sehr elegant, aber das hier ist ja auch nicht Paris.

Die Backstube: 
Pepe Mastro Dolciere
Via Nazionale, 2/4
84010 Sant’Egidio del Monte Albino SA, Italien.

Was man sich bei einem Besuch in Neapel nicht entgehen lassen sollte: