Max Gerhard hat Menschen getötet. Wenn er daran denkt, dann meist an dieses eine Ereignis, das ihn jahrelang nicht losgelassen hat. Das ihn nachts, wenn seine Frau schlief und es still war auf dem Eschberg in Saarbrücken, wo ihr kleines Haus steht, regelmäßig aufschrecken ließ. Das eine Ereignis an der Ostfront, das für ihn den Schrecken des Krieges bündelt.
Er war damals 24, Obergefreiter bei der 12. Panzerdivision, stationiert in der Nähe von Minsk. Agenten hinter den feindlichen Linien hatten den Divisionsstab informiert, dass die Russen die Front durchbrechen wollten. Max Gerhard und seine Kameraden parkten die vier Lkws mit den darauf montierten Geschützen an der angegebenen Stelle, über Kreuz, so wie es ihnen befohlen worden war. Damit der Kugelhagel eine undurchdringliche Wand von Geschossen bilden würde. Dann kamen die Russen, 300 oder 400 müssen es gewesen sein, »die liefen vollkommen ahnungslos auf uns zu. Als sie hundert Meter entfernt waren, haben wir gefeuert«, erzählt Gerhard. »Das war, als hätten wir sie durch einen Fleischwolf gedreht.« Die Schreie der Getroffenen, mehr ein tierisches Gebrüll, der Geruch nach Pulverdampf, die Hitze, das Blut, die Fleischfetzen – »Ich stand vollkommen unter Schock.« Max Gerhard, der das Sterben und Töten an der Front schon mehr als drei Jahre erlebt hatte, brauchte erst einmal acht Tage Ruhe. Max Gerhard ist jetzt 85 Jahre alt, ein sympathischer Mann mit einem wachen Verstand. Sein jungenhaftes Lächeln ist schon auf den Bildern zu sehen, die er aus dem Wandschrank im Wohnzimmer hervorgekramt hat. Sie zeigen ihn in Uniform, rauchend oder mit den Kameraden beim Essen, es sind Bilder von einem fast idyllischen Soldatenleben. Max Gerhard schüttelt den Kopf und sagt: »Alles, was mit Krieg zu tun hat, kann nicht gut sein.«
Sein Enkel, Peter Gerhard, hat in den vergangenen anderthalb Jahren gelernt, wie man mit der Pistole und dem Gewehr umgeht, eine Sprengfalle konstruiert, die eigene Stellung ausbaut und provisorische Brücken legt. Beim Einzelkämpferlehrgang musste er sich vier Wochen lang mit ein paar Kameraden durchs Unterholz schlagen, »da hieß es durchhalten, das war hart«. Peter Gerhard meint, danach »kann einen nichts mehr umhauen«. In ein paar Tagen ist die erste Etappe seiner Ausbildung zum Offizier vorbei, anderthalb Jahre von zwölf Jahren, auf die er sich bei der Bundes-wehr verpflichtet hat. Peter Gerhard wird dann 21 sein, noch ein paar Streifen mehr auf seinen Schulterklappen tragen dürfen und bald das Maschinenbaustudium an der Bundeswehruniversität beginnen. Dass er vielleicht auch irgendwann einen Menschen töten muss, darüber hat sich Peter Gerhard nur wenige Gedanken gemacht. »Wenn es einmal so sein sollte, dann mach ich das, um mein Land zu verteidigen«, sagt er. »Es gibt ja auch im Krieg Regeln, die bestimmen, wann getötet werden darf und wann nicht.«
Manchmal denkt Max Gerhard, er hätte seinem Enkel und seinem Sohn mehr vom Krieg erzählen sollen.
Max Gerhard, geboren 1921, Peter Eugen Gerhard, geboren 1953, und Peter Gerhard, geboren 1986, waren gerade volljährig, als sie zu einer deutschen Armee gingen. Max Gerhard als Gefreiter zur Wehrmacht, die in Angriffskriegen Millionen Menschen tötete. Peter Eugen Gerhard als Offizieranwärter zur Bundeswehr, die ihre Zeit weitgehend in den Kasernen absaß und nicht einen Schuss auf einen Feind abgab. Peter Gerhards Bundeswehr hat sich verändert. Den Krieg führen zwar immer noch die anderen, aber die deutsche Armee ist dabei längst nicht mehr nur Zaungast: Relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit waren inzwischen fast 200000 Soldaten im Auslandseinsatz. Und wer in der Bundeswehr heute etwas werden will, muss mindestens einmal dabei gewesen sein.
Schritt für Schritt hebt die Bundesregierung die Grenzen für die Einsätze des deutschen Militärs auf, 1992 waren es noch ein paar Sanitäter in Kambodscha, wenig später schon Aufklärungsflüge über dem früheren Jugoslawien. Nun stehen deutsche Soldaten in Afghanistan, im sogenannten Kampf gegen den Terror, und weil der größere Teil der Deutschen nicht verstehen kann, warum ihre Sicherheit dort ver-teidigt werden sollte, flüchtet sich die Politik in eine unpräzise Sprache. Es ist die Rede von »robusten Mandaten«, »humanitären Missionen«, »friedenserhaltenden Aufgaben«, »friedenserzwingenden Maßnahmen«.
Peter Gerhards Armee ist eine Armee voller Widersprüche. So widersprüchlich wie die Geschichte der Soldatenfamilie Gerhard.
Peters Vater, Peter Eugen Gerhard, hat beim deutschen Militär Karriere gemacht: Pädagogikstudium an der Universität der Bundeswehr, Kompaniechef in Plön, Führungsakademie in Hamburg, dann Ausbildung an der École Militaire in Paris, Referent im Führungsstab des Heeres, Lehrgänge am Centre des Hautes Études Militaires in Paris und am NATO Defense College in Rom. Nur erste Adressen. Jetzt sitzt er, nach 34 Jahren in der Bundeswehr, in einem Büro, das auch das Büro eines leitenden Angestellten einer großen Aktiengesellschaft sein könnte. Auf dem Schreibtisch liegen Le Monde, die International Herald Tribune und die FAZ, Schnitzereien aus Afrika und anderes Kunsthandwerk zeugen von seinen Einsätzen rund um die Welt.
Als sich Gerhard 1973 zur Bundeswehr verpflichtete, war das ein Akt gegen den Zeitgeist. Die 68er-Bewegung hatte die Gesellschaft nachhaltig verändert, doch Gerhard wollte studieren, dabei seinen »Eltern nicht auf der Tasche liegen«. Und er war überzeugt von der Mission der Bundeswehr. »Einem möglichen Feind wehrlos gegenüberzustehen, war nicht meins«, sagt Gerhard. »Ich wollte Farbe bekennen, auch, um die Werteordnung zu verteidigen.« Einer der ersten Einsatzorte des jungen Offiziers Gerhard mutet von heute aus betrachtet so anachronistisch an wie der Eiserne Vorhang: ein Pionierspezialzug im schleswig-holsteinischen Plön für Spezialminen. Im Ernstfall sollten er und seine Kameraden die Truppen des Warschauer Paktes durch eine Sperre aus Sprengsätzen aufhalten. »Ich bin damals durchaus mit der Erwartung zur Bundeswehr gegangen, dass es in den Kampf gehen kann«, sagt Gerhard.
Inzwischen ist der Schrecken des Krieges weitgehend aus seinem Arbeitsalltag verschwunden. Mit dem schlichten grauen Bundeswehranzug, dem blauen Hemd und seiner etwas korpulenten Statur strahlt Gerhard eine fast behördenhafte Gemütlichkeit aus. Wie sie in einer Armee vermutlich nur möglich ist, wenn der Ernstfall doch nur das Szenario eines großen Planspiels blieb. Gerhard ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Innere Führung der Bundeswehr, das so etwas ist wie das gute Gewissen der deutschen Armee. Er selbst nennt es »Markenzeichen«. In den Gängen des Zentrums, auf einem Hügel der alten Garnisonsstadt Koblenz erbaut, hängt abstrakte Kunst, Plakate rufen zur »interkul-turellen Toleranz« auf. Die Innere Führung, die der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß noch »Inneres Gewürge« nannte, ist der offensichtlichste Ausdruck des Bemühens der Bundeswehr, die andere Armee zu sein. Nicht wie das kriegerische US-Militär. Und niemals mehr wie die Wehrmacht.
Gerhard arbeitet dafür, dem Krieg die Spitzen und Kanten abzufeilen, es geht um den guten, den gerechten Einsatz von Waffen, des letzten Mittels deutscher Außenpolitik. »Wo die Bundeswehr eingesetzt wurde, ist sie anerkannt«, sagt Gerhard. »Das schreib ich auch der Inneren Führung auf die Fahnen.« Er möchte, dass der »Staatsbürger in Uniform« nicht nur das Feigenblatt einer deutschen Armee ist, sondern Wirklichkeit. Ein idealisiertes Wesen aus Bürger, Soldat, Diplomat, Polizist, Samariter und gutem Kamerad.
Manchmal lugt das Grauen des Krieges nun doch vorbei. In den neuen Kursen des Zentrums, zum Beispiel »Menschenführung unter besonderen Bedingungen des Einsatzes«. Oder wenn einer der Referenten den versammelten Unteroffizieren die neue Qualität ihrer Aufgabe erläutert: »Inzwischen kann es sein, dass man in Afghanistan ist und neben einem ein Bus in Luft fliegt.«
Peter Eugen Gerhard würde das so nie sagen, aber es ist zu spüren, dass er eine gewisse Genugtuung über die neuen Herausforderungen der Bundeswehr empfindet. Weil sich so auch in der Praxis belegen lässt, dass Militär und Krieg nicht zwangsläufig dasselbe sein müssen.
Max Gerhard kann sich an den Tag, an dem der Krieg für ihn endlich vorbei war, noch gut erinnern. Nach vier Jahren an der Front und vier Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft. Es war der 13. Mai 1949, ein warmer, sonniger Tag, und Max Gerhard empfand »ein Glücksgefühl, dass das alles zu Ende war. Diese Angst, dass man die nächsten 24 Stunden nicht überleben würde, war endlich weg.« Er ging nach Saarbrücken, dahin hatte es seine Eltern verschlagen, heiratete wenig später und bekam Arbeit als Fahrer.
Im Keller seines Hauses, versteckt hinter der Tür, hängen an einem kleinen Brett seine Auszeichnungen von der Ostfront. Das Eiserne Kreuz II. Klasse, das Sturmabzeichen für die Angriffe, die er in seinem Panzer fuhr, das Kriegsverdienstkreuz für besondere Leistungen. Max Gerhard war es immer wichtig, seine Arbeit gut zu machen. Auch im Krieg. Gleichzeitig weiß er: »Der Krieg war keine rühmliche Sache. Die Wehrmacht hat sehr vielen Menschen fürchterliches Unrecht angetan.« Das ist sein Dilemma, Max Gerhard hat lange gebraucht, es für sich zu klären. Und als er gerade so weit war, ging sein Sohn zur Bundeswehr. Er hat damals nicht wirklich versucht, ihn davon abzuhalten. Nur gesagt: »Lass dich bloß nicht auf den Krieg ein.« Aber als sein Sohn dann 1993 nach Somalia in den Einsatz ging, da musste Max Gerhard feststellen: »Der wollte das unbedingt.«
Vor seiner Abreise hat Peter Eugen Gerhard sein Testament gemacht. Noch einmal in den Unterlagen nachgeschaut, ob die Lebensversicherung auch den Tod im Einsatz abdeckt. Nur für den Fall. Peter Eugen Gerhard sagt, ihm sei der Abschied von der Familie schwer gefallen, »da wurde auch schon mal eine Träne vergossen. Aber Somalia war neu. Ich wollte sehen, wie das ist: ›Packst du das, kommst du mit der Herausforderung zurecht?‹« Der Einsatz muss für Gerhard gewesen sein wie für einen Profifußballer, der nach jahrelangem Training endlich einmal von der Bank aufs Feld durfte.
Es herrschte Bürgerkrieg in Somalia, Warlords gegen Warlords, und die Bundeswehr schickte Heer, Luftwaffe und Marine zu ihrem ersten Blauhelm-Einsatz. Im Norden des Landes bei Belet Huen sollten die deutschen Soldaten humanitäre Hilfe leisten, es war Deutschlands erster, vorsichtiger Schritt im internationalen Krisenmanagement. »Restore Hope«, »Hoffnung wiederherstellen«, hieß die Mission.
Pionierführer Peter Eugen Gerhard und seine 170 Soldaten errichteten ein halbes Jahr lang Schulen, bohrten Brunnen und reparierten Krankenhäuser, ein paar Skorpione und eine Schlange waren die einzige Feindberührung, die sie hatten. In den Medien galt der Einsatz später als 500 Millionen Mark teurer Reinfall, aber Gerhard meint, »die Bundeswehr hat da unheimlich viel geleistet und gelernt«. Die Verhandlungen mit den Führern der unterschiedlichen somalischen Clans, die Zusammenarbeit mit anderen Truppen, Inder, Pakistanis, Italiener – »Das war die Basis für alle weiteren Auslandseinsätze, wie im Kosovo oder in Afghanistan.«
Peter Eugen Gerhard ist stolz darauf, mitgeholfen zu haben, die Bundeswehr zu verändern. Sie »agiert jetzt«, wie er sagt, »nach den Vorgaben der Politik«. Und doch ist die Bundeswehr noch etwas anders als andere Armeen. Eine Armee, in der die 65 bei Auslandseinsätzen umgekommenen Deutschen nur als Unfälle geführt werden, weil sie nicht Gefallene genannt werden dürfen. Und trotzdem sterben Soldaten.
Die Armee, in der nun auch sein Sohn dient.
Hätte Peter etwas anderes werden wollen als Soldat, wäre er der Erste gewesen, »der sich zurückgehalten hätte«, sagt Peter Eugen Gerhard. Und dass er sich »schon Sorgen machen würde«, wäre der Sohn im Einsatz. »Aber immer nur zu denken, wie kann man einem Risiko ausweichen – wenn Sie das logisch zu Ende denken, kommen Sie zu nichts.« Peter Eugen Gerhard sagt auch noch, dass er kein besonders »emotionaler Mensch« sei.
Im November war sein Sohn, Peter Gerhard, für eine Woche auf einem Lehrgang in Großbritannien. Dort haben ihm die Offizierschüler erzählt, dass sie schon nach wenigen Wochen Ausbildung zum Auslandseinsatz geschickt werden könnten. Peter Gerhard fand das erstaunlich. »Das kann ich mir nicht vorstellen, da fehlt einem doch noch die Reife dazu.« Er wird frühestens in vier Jahren zu seiner ersten Mission ins Ausland müssen. Peter Gerhard hat gerade begonnen In Stahlgewittern zu lesen, Ernst Jüngers emphatisches Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg. Sonst kennt er den Krieg von dem, was man so gesehen hat in seinem Alter: Black Hawk Down, Platoon, Apocalypse Now. Er sagt, der Krieg habe »fürchterliche Auswirkungen. Wenn es irgendwie geht, muss der verhindert werden«.
Peter Gerhard wollte schon als Jugendlicher Soldat werden, er mochte die ganze Technik in der Bundeswehr und fand »die Aufgabe des Soldaten immer gut«. Der Werdegang seines Vaters habe ihm gezeigt, dass dies »nicht heißen muss, Krieg zu führen«. Und es waren ganz nahe liegende Gründe, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten: »Man verdient gutes Geld und bekommt eine solide Ausbildung.«
Er ging dann wie sein Vater als Pionier zum Heer, sie haben sogar einen Teil ihrer Ausbildung in derselben Kaserne in München verbracht. Peter Gerhard ist vielleicht auch deshalb keiner, der den Sinn der Bundeswehr grundsätzlich hinterfragt. Aber er ahnt, dass seine Bundeswehr nicht mehr die des Vaters sein wird. Er glaubt, dass die deutsche Armee zukünftig nicht nur im »Kampf gegen den Terror«, sondern auch bei neuen Auseinandersetzungen, »zum Beispiel um Energie, Wasser und andere Rohstoffe«, eingesetzt werden könnte. »Da ist es gut, dass unsere Regierung restriktiver ist als andere Staaten.«
Der Großvater, Max Gerhard, sagt, dass sein Sohn und sein Enkel keine »kriegführenden Menschen« seien. Das beruhigt ihn. Und tatsächlich vermitteln einem Peter Eugen Gerhard und Peter Gerhard in ihrer zurückhaltenden und offenen Art das gute Ge-fühl, dass die Bundeswehr noch weit entfernt ist von Einsätzen wie im Irak. Der Alltag dort, das Töten und Getötet-Werden, die Entfesselung von Gewalt kommt in ihrem Denken nicht vor. Es ist auch das Denken einer Armee, die beim Auslandseinsatz in Afghanistan den Müll fein säuberlich trennt und Fahrzeuge, deren Abgassonderuntersuchung abgelaufen ist, umgehend ausmustert. Trotzdem glauben beide, die Bundeswehr sei auch für den Ernst-fall vorbereitet. »Wenn man in den Krieg muss, dann muss man alles, was man gelernt hat, aus dem Effeff anwenden können«, sagt Peter Gerhard. »Dass man sich dabei richtig verhält, das muss man mit seinem Charakter draufhaben.«
Max Gerhard weiß, wie der Krieg einen verändert. Er hat es vier Jahre lang erfahren. Wenn er morgens die Kameraden an die Front gefahren hat und »abends wieder als Leichen zurück«. Als er gelernt hat, mit dem ständigen Sterben und Töten umzugehen: »Am Anfang braucht man noch eine Zeit, damit fertig zu werden, dann stumpft man ab.« Wie das ist mit den Angriffen, das Auffahren im Feindesland, davor die Infanterie, dahinter die Artillerie, die den Gegner mit einer »Feuerwalze« niedermacht. »Da ist alles andere abgeschaltet, man will nur heil durchkommen.« Max Gerhard hat auch die Zufälle erlebt, die der Krieg mit sich bringt, im Guten wie im Schlechten. Als der Schuss eines russischen Scharfschützen nur von einem schmalen Aluminiumring im Innern des Helmes, Millimeter vor seinem Kopf, abgehalten wurde. Als ihm eine Verletzung am Innenarm zwei Jahre Kriegsgefangenschaft zusätzlich einbrachte, weil die Russen dachten, es sei ein ausgebranntes Kennzeichen der SS. Max Gerhard ist über den Krieg zum Pazifisten geworden. Er hält den Irak-Krieg für falsch, und als Anfang der Achtzigerjahre in Bonn die Menschen zu Hunderttausenden gegen die Nachrüstung auf die Straße gingen, war er, wie er sagt, »nicht abgeneigt«.
Die Gerhards sind eine freundliche, intakte Familie. Man mag sich, trifft sich regelmäßig, spricht dann über alles, die Verwandten, auch über den Soldatenberuf. Nur nicht über den Krieg. Weder Peter Eugen Gerhard noch Peter Gerhard haben den Großvater nach seinen Erlebnissen gefragt; Max Gerhard meint, »ich konnte davon nicht im Nachhinein erzählen, das war eine andere Zeit, das hätte komisch geklungen«. Der Krieg ist wie ein Tabu, an dem keiner rütteln mag. Aus Rücksicht, Nichtwissenwollen, vielleicht auch Angst.
Die Familie Gerhard wirkt wie ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft, in der die Politik die Diskussion über die neue Rolle der Bundeswehr scheut. Weil sie weiß, dass der größere Teil der Bevölkerung gegen die Auslandseinsätze ist. Und selbst keine präzise Vorstellung davon hat, wie das deutsche Militär in Zukunft agieren soll.
Peter Gerhard war in der vergangenen Woche im Armeemuseum Ingolstadt. Er und die Jungs aus seinem Lehrgang wurden zu Fähnrichen befördert. Die Kapelle der Luftwaffe hat gespielt, der Bürgermeister war da und einige hochrangige Militärs. Jetzt muss er nur noch seine Stube streichen, 15 kahle Quadratmeter in der Münchner Prinz-Eugen-Kaserne, und am nächsten Tag noch einmal um sieben Uhr antreten. Dann ist der erste Teil der Offiziersausbildung beendet. »Das war gemütlich hier«, meint Peter Gerhard.
Es ist derselbe Tag, an dem das Parlament in Berlin dem Einsatz der Tornado-Jets in Afghanistan zustimmt. Im Auftrag der US-Armee soll die deutsche Luftwaffe Stellungen der Taliban ausmachen und fotografieren. Die Bomben werfen dann andere. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sagt deshalb, es sei kein Kampfeinsatz.