Ich habe mich sehr erschrocken über diese Meldung. Sie lautete: »Smartphone in der Schultüte – Immer mehr Eltern schenken ihren Kindern zur Einschulung ein Handy.« Stand so in der Zeitung. Und ich dachte: Waaas, erst mit sechs? Mein Kind ist drei. So lange kann ich nicht warten!
Im Moment ist es so, dass mein Kind mein Handy gekapert hat. In meiner Playlist verstecken sich Kinderlieder, ganz harmlos haben sie sich nach Anfangsbuchstaben in den Popkanon gefügt. Manchmal, wenn ich beim Joggen selig in Fahrt komme, setzt plötzlich Rolf Zuckowski an. In meinem Fotoalbum häufen sich die verwackelten Motive: halbe Menschen, Gliedmaßen, Himmel, Boden, rosa Flächen, die auf Batschefinger vor der Linse schließen lassen. Überhaupt klebt das Handy ständig. Dass immer mindestens drei Tabs mit Babyhunden, Faultieren und Löwen offen sind, weil das Kind Vorlagen zum Malen will, ist da das kleinere Problem.
Angefangen hat es bei uns zu Hause, wie bei allen anderen, ganz gesittet. Handys wurden beiseite gelegt, beim Essen sowieso. Mein Handy war tabu fürs Kind. Es besaß ein Holzhandy, auf dem ich hin und wieder Anrufe entgegennahm. Dann kamen mir die Großeltern in die Quere. Sie wissen schon, diese Menschen, deren ehemals leidenschaftlich empfundener Erziehungsauftrag fürs Enkelkind auf einen Leitsatz zusammengedampft wurde: Hauptsache, es macht Spaß und Dreck. Diese Großeltern wollen meinem Kind permanent etwas mitteilen, deswegen schreiben sie Nachrichten. Sie schreiben, dass die Sonne scheint und dass sie Aua am Fuß haben. Sie fotografieren Babyenten, die in Kolonne schwimmen, zeichnen Balzgesänge heimischer Vogelarten auf und filmen, wie sie von einer Kuh von deren Weide verscheucht werden: »Jetzt müssen Oma und Opa aber flitzen, die Kuh ist sauer, siehst du?« Der Opa schickt aus Rumänien ein Foto von einem Fastfood-Restaurant, weil es heißt wie ein Kuscheltier der Enkelin. Sie legen aus ihrem Abendbrot Gesichter und schicken davon Fotos. Auch beliebt: Bilder von Spielplätzen, zur Belustigung der Enkelin hängt dann immer irgendwo der Opa im Klettergerüst. Manchmal, wenn meine Eltern besonders beschwingt oder beschwipst sind, schreiben sie dazu: »Grüß uns deine liebe Mutter.« Das wäre dann ich.
Klar, ein Handy ist nur ein Gebrauchsgegenstand. Aber mir ist es von allen der liebste und persönlichste. Fotos von Reisen, emotionale WhatsApp-Gespräche, Beweise für Trainingsfortschritte, wichtige Arbeitsunterlagen – alles habe ich da drauf. Es ist ein Rückzugsort, das digitale Äquivalent zum abgeschlossenen Badezimmer.
Zumindest war es das mal. Wenn ich heute von der Arbeit nach Hause komme, muss ich meinem Kind nicht selten erst mal die aufgelaufenen Nachrichten vorlesen, ihm Videos vorspielen, seine Antworten aufzeichnen und diese wiederum verschicken. Denn was meine Eltern begonnen haben, machen inzwischen auch Tante, Onkel, Großtante und Großcousin. Mein Handy gehört mir nicht mehr allein. Es gehört mir sogar immer weniger. Wann immer in den vergangenen Monaten etwas gelöscht werden musste, wurde es ein Hörbuch von mir, die Taxi-App oder Fotofilter – die Tiervideos müssen natürlich bleiben.
Ich weiß noch, wie ich, als das Kind unterwegs war, darauf bestand, dass es mit seinem Zeug in seinem Zimmer spielen würde. »Das Wohnzimmer ist kein Kinderzimmer!«, habe ich verkündet. Und jetzt? Jetzt liege ich abends auf der legofreien Couch und ziehe das klebrige Kinderzimmer aus meiner Hosentasche.