Warum Puppen nicht als feministisches Feindbild taugen

Wenn Jungen mit Baggern spielen, stört das Väter nicht. Wenn Mädchen mit Puppen spielen, stört das manche Mütter umso mehr. Warum? Wer das Puppenspiel der Tochter verachtet, verachtet in gewisser Weise auch sich selbst als Mutter, findet unsere Autorin.

Weil ich ein Mädchen bin: Das Puppenspiel ist immer noch eine weibliche Domäne.

Fröhlich rannte das zweijährige Mädchen durch die Wohnküche, im Arm eine kahlköpfige Puppe, die es gerade umgezogen hatte. Fast jedenfalls. Das klettbare Blümchenkleid hing der Puppe wie ein Superheldinnenumhang um den zu kurz geratenen Hals. Doch bevor es weiterlief zu den anderen Kindern, musste das Mädchen seiner Mutter noch die Kette zeigen, die es in einer Spielkiste gefunden hatte, einen roten Schnürsenkel, auf den jemand bunte Holzperlen gezogen hatte.

Das Mädchen sah damit eigentlich ganz lässig aus, wie eine Miniversion von Frida Kahlo, nur ohne Monobraue. Aber die Mutter lächelte gequält. Kaum war das Mädchen ins Spielzimmer verschwunden, rollte sie mit den Augen und sagte: »Sie ist seit Neuestem so ein Mädchenmädchen. Sie interessiert sich nur noch für Ketten und Puppen, das nervt.«

Ich habe noch nie gehört, wie sich ein Vater darüber beschwert, dass sein Sohn im Sandkasten mit dem Kipplader hantiert. Dass Mütter es nicht gut finden, wenn ihre Töchter mit Puppen spielen, begegnet mir hingegen immer häufiger. Bei Freundinnen zu Hause, auf dem Spielplatz, in der Kita-Garderobe: Sobald sich zwei Mädchen um eine Puppe scharen, schleicht sich ein Hauch von Missbilligung in die Reaktionen der Mütter.

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Wenn schon Puppe, dann ironisch gebrochen im St.-Pauli-Shirt

Dieselben Frauen, die ihren eigenen Kindern teils mit aufopferungsvoller Fürsorge begegnen, wollen dem spielerischen Lernen von Fürsorge lieber nicht beiwohnen. Als wäre das Puppenspiel ihrer Töchter etwas, wofür sie sich schämen müssten und das sie am liebsten unterbinden würden. Wenn schon Puppe, dann ironisch gebrochen im St.-Pauli-Shirt oder im cremefarbenen Leinenoutfit, dem jede Prinzessinnenhaftigkeit abgeht.

Mein Eindruck ist, dass diese Mütter sich so verhalten, um ihre Töchter vor dem Blau-Rosa-Terror der Spielwarenindustrie zu schützen und sie nicht schon in früher Kindheit in überholte Geschlechterbilder zu pressen, wie sie einst Simone de Beauvoir beschrieb: »Das Mädchen wiegt die Puppe in den Schlaf und schmückt sie. Sie selbst träumt ja davon, geschmückt und in den Schlaf gewiegt zu werden. Umgekehrt kommt sie sich selbst wie eine wundervolle Puppe vor.« Ganz bestimmt wollen diese Mütter ihre Töchter vor dieser Falle des Gefallenwollens bewahren, ihnen alle Türen offenhalten, sie zu willensstarken, unabhängigen Frauen heranziehen und eben nicht zu Püppchen, die alles mit sich machen lassen. Das sind gute und nachvollziehbare Gründe. Das alles will ich auch für meine Tochter.

Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass mit der Abwertung des Puppenspiels im Kleinen auch eine Abwertung der weiblichen Erfahrung im Großen einhergeht. Indem man als Mutter das Puppenspiel der Tochter verachtet, verachtet man in gewisser Weise auch sich selbst als Mutter. Schließlich sind es auch in diesen Familien wie in den meisten Familien immer noch die Frauen, die einen Großteil der Sorgearbeit übernehmen, die eben all das machen, was ihre Töchter im Spiel mit ihren Puppen nachahmen: füttern, wickeln, kämmen, trösten, tragen, wiegen. Mädchen das Puppenspiel zu verleiden ist für mich daher nicht unbedingt Ausdruck von Feminismus, eher von weiblichem Selbsthass.

Wenn Mütter wollen, dass ihre Töchter Sorgearbeit nicht als etwas Weibliches verstehen, dann hilft es nichts, ihnen die Puppen wegzunehmen

Im Spiel mit der Puppe (und ich meine hier nicht Barbiepuppen, sondern Babypuppen mit dicken Bäuchen und speckigen Beinen) verarbeiten Kinder die Welt, die sie umgibt, sie üben sich in Empathie, sie lernen Verantwortung zu übernehmen. Sie tun also all das, was seit Jahrhunderten den Frauen zugeschrieben wurde, aber in Wahrheit immer schon menschlich war: Sie kümmern sich. In Zeiten von Krisen und Kriegen, in Zeiten, in denen in Deutschland so viele Menschen pflegebedürftig sind wie nie zuvor, ist das doch eigentlich ein Wert an sich. Und zwar für alle Geschlechter.

Laut der jüngsten Zeitverwendungsstudie des Statistischen Bundesamtes stecken Männer in Deutschland anderthalb Stunden mehr pro Woche in unbezahlte Arbeit als vor zehn Jahren. Das ist gut, doch es sind immer noch neun Stunden weniger, als Frauen aufwenden. Es ändert sich etwas, aber viel zu wenig und viel zu langsam. Die politischen Maßnahmen fehlen, und ich vermute, bei manchen Vätern auch der Wille. Das geht an deutschen Kinderzimmern nicht spurlos vorbei. Wenn Mädchen sich im Spiel um ihre Puppen kümmern, wird darauf hinabgeschaut, eben weil es nach wie vor als »typisch weiblich« gilt.

Und genau das ist es, was abgeschafft gehört: Wenn Mütter wollen, dass ihre Töchter Sorgearbeit nicht als etwas Weibliches verstehen, dann hilft es nichts, ihnen die Puppen wegzunehmen und ansonsten so weiterzumachen wie bisher. Vielmehr müssen die dazugehörigen Männer, die Väter dieser Töchter, die Hälfte der Sorgearbeit übernehmen. Vielleicht würden dann auch ihre Söhne häufiger zur Puppe greifen.