Die Tage ist was Trauriges passiert. In Berlin-Hohenschönhausen. Unser Kleiner ist in so einer Art DFB-Auswahl. Das ist nicht traurig, sondern aufregend. Und ein wenig beängstigend, für die Mutter des Jungen. Der, das merkt jeder, ein gutes Körper- und Raumgefühl hat.
Er könnte genauso gut Swing-Tänzer werden. Aber der Swing ist halt in Deutschland noch kein Breitensport. Und so landete der kleine Kicker in der Umkleidekabine des BFC Dynamo. Für alle, die nicht Berliner vom linksautonomen Rand sind: Der BFC hat den Ruf, Rechte anzuziehen. Angeblich passé. Trotzdem hatten wir einem BFC-Trainer schon mal eine Abfuhr erteilt, als der wie ein Recruiter am Bolzplatz herumgelungert hatte.
In der Umkleidekabine ist man in der Regel mit seiner Mannschaft. Diesmal nicht, dieses Mal sind da auch Elfjährige vom BFC Dynamo, und die sagen zu dem Jungen, der neben unserem sitzt: Na du Neger? Negerkuss! Ha ha! Neger!
Der Junge, sagt mein Sohn, und es wird ihm fast ein bisschen nebensächlich, dass er in der Auswahl weitergekommen ist, der Junge hatte total geile Haare, so stark und hoch. Alle Lieblingsfußballspieler und die Lieblingssänger meines Sohnes haben krauses Haar und einen dunklen Teint. Er findet das schön und jetzt sitzt er neben dem Jungen und weiß nicht, was er tun soll.
Was mach ich denn, sagt er am Abendtisch, wenn die Neger zu ihm sagen? Wie hieß er denn, der Junge, habe ich gefragt. Keine Ahnung. Na, dann fragst du ihn halt mal. Setzt dich zu ihm. Legst vielleicht mal deine Hand auf seinen Arm. Und zeigst so den Dynamo-Deppen, dass du zu ihm gehörst. Und wenn du dich traust, dann sagst du ihnen, dass man das nicht sagt. Denk an meine Freundin E., habe ich gesagt, die leidet heute noch darunter, dass sie nicht nur von Kindern so behandelt wurde.
Später habe ich einen Post gesehen, der ebenso banale Tipps gibt, wie ich es getan habe. Falls man es irgendwo, im Bus oder in der U-Bahn, mit Rassisten zu tun bekommen sollte. Aus dem Facebook-Post wurde eine Nachricht und aus der Nachricht wird vermutlich noch ein Ratgeber über Zivilcourage.
Doch all diese Anleitungen gegen Rassismus kamen mir in jenem Moment, als ich meinen erschreckten Sohn sah, so hilflos vor. Wir hatten ihm längst erklärt, was Rassismus ist und wie er zustande kam und kommt. Er hat für die Schule ein Plakat gebastelt, über und gegen Rassismus. Er kennt all die Werbe-Trailer der Fußballer gegen Rassismus. Und die Erzählungen meiner Freundin, wie die Nachbarn in ihrer Kindheit ihre Schränke abwischten, wenn sie sie berührt hatte, das »Negerkind«.
All das hat er, bis zu jenem Moment in der Kabine, nur gewusst. Aber nicht zu spüren bekommen. Und das macht – leider sehr oft im Leben – einen gewaltigen Unterschied.
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