»Kurz nach Silas habe ich 2000 Briefe täglich bekommen, über Wochen«

TV-Weihnachtsserien wie »Timm Thaler«, »Patrik Pacard« oder »Anna« gehörten von 1979 bis 1995 zu den deutschen Feiertagsritualen - wie Plätzchen und Tannenbaum. Die jungen Darsteller wurden über Nacht zu Berühmtheiten. Wir haben die Helden von damals an einen Tisch gebeten. Ein Gespräch über Ruhm, Druck und Mobbing auf dem Pausenhof.

Die Weihnachtsserien-Stars Patrick Bach, Alexandra Henkel, Hendrik Martz, Katja Studt und Kathrin Toboll beim Gespräch mit dem SZ-Magazin in einer Privatwohnung in Berlin.

Patrick Bach (zu Katja Studt): Wir haben uns, glaube ich, schon mal gesehen, oder?
Katja Studt: Ich glaube nicht.
Bach: Oh. Das ist ja ein Phänomen in unserer Branche, dass man denkt, man hat mal zusammengearbeitet. Man ist sich über den Bildschirm so vertraut.
Studt: Ich habe dir als Kind mal einen Liebesbrief geschrieben. Ich muss das jetzt zugeben.
Bach: Ehrlich?

SZ-Magazin: Was haben Sie genau geschrieben?
Studt: Es fing schon damit an, dass jeder i-Punkt ein Herzchen war, natürlich. Patrick war ja als Hauptdarsteller der Weihnachtsserien Silas, Jack Holborn und später in Anna der Mädchenschwarm der Achtzigerjahre, du hast meinen Jungengeschmack schon sehr geprägt. Ich weiß noch, dass ich geschrieben habe: »Patrick, ich liebe Dich so, dass ich jede Nacht von Dir träumen muss.« Ich habe ihn abgeschickt, aber nie was gehört. Und als ich nach der Ausstrahlung meiner Weihnachtsserie Clara auch solche Briefe bekam, habe ich mir gesagt: Ich antworte jedem! Denn ich habe damals wirklich gehofft und gebangt. Aber das soll jetzt kein Vorwurf sein.
Bach: Jedem zu antworten war bei uns gar nicht möglich. Kurz nach Silas habe ich 2000 Briefe täglich bekommen, über Wochen. Der Postbote kam jeden Tag an mit einem Riesensack. Nach zwei Wochen hat er gesagt, wir sollen die Post selber abholen, er schleppt den Sack nicht mehr.
Alexandra Henkel: Bei mir gab es nach Ron und Tanja pausenlos Anrufe zu Hause und auch Fanpost. Teenies waren ja okay, aber es waren auch Erwachsene dabei, das war ein bisschen unheimlich.
Hendrik Martz: Um 18.50 Uhr war damals der erste Teil von Patrik Pacard im ZDF zu Ende, ab 19.10 Uhr klingelte das Telefon, 24 Stunden. Die Leute haben in der Schule angerufen und gesagt, meine Eltern seien tödlich verunglückt. Sie haben mir aufgelauert, und nicht nur Mädchen, sondern auch Jungs, die nicht so toll fanden, dass ihre Freundin mein Bild an der Wand hatte. Ich habe ernsthaft Morddrohungen erhalten, Briefe, wo ich am Galgen hing und »Wir kriegen dich« draufstand. Wir haben Polizeischutz mit Streifenwagen vor dem Haus gehabt. Das ging drei, vier Monate so. Und ich war gerade mal 16.

PATRICK BACH
Serien: Anna, Silas und Jack Holborn
Ist der Kinderstar des deutschen Fernsehens schlechthin. Bach spielte gleich in drei Weihnachtsserien Hauptrollen, 1981 als Zirkusartist in Silas, 1982 als Schiffsjunge Jack Holborn und 1987 als Teenager im Rollstuhl, der der Balletttänzerin Anna nach einem Unfall zurück ins Leben hilft. Es folgten Gastrollen im Vorabendprogramm, etwa im Großstadtrevier. Heute vor allem als Synchronsprecher tätig, etwa in der Verfilmung von Herr der Ringe oder gerade in der Disney-Serie Jake und die Nimmerland Piraten. Patrick Bach, Jahrgang 1968, lebt mit Frau und Kindern in seiner Geburtsstadt Hamburg.

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Sind Sie überhaupt noch vor die Tür gegangen?
Bach:
Ich hab versucht, meinen Tagesablauf ganz normal zu gestalten wie sonst auch. Sich einzusperren ist ja keine Lösung. Meine Schule hat das ganz toll gemacht, ich bin weder gemobbt worden, noch haben die anderen mich für doof erklärt. Die waren stolz, dass sie den »Silas« auf der Schule hatten.
Martz: Bevor ich Patrik Pacard gedreht habe, bin ich sitzen geblieben. Nach den Dreharbeiten habe ich meinen Notendurchschnitt um 2,8 verbessert – die Erfahrung am Set unter all den Erwachsenen hat mich reifen lassen. Nach der Ausstrahlung ging der Schnitt wieder um 2,2 runter. Der Erfolg und der Druck – ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren. Ich war froh, dass ich die Realschule gerade noch geschafft habe. Dann habe ich Die Wicherts von nebenan gedreht, eine Familienserie, das war eine andere Art von Bekanntheit. Ruhiger. Diese krasse Teenie-Begeisterung, die über einen einfach so hereinbricht, war es nicht mehr. Zwischen zehn und 17 sind die ja am härtesten drauf.
Kathrin Toboll: Also, ich bin in der Schule fertiggemacht worden, nachdem meine Serie, das Nesthäkchen, an Weihnachten ausgestrahlt wurde. Das war die Zeit, in der ich gerade von der Grundschule aufs Gymnasium gekommen war. Da hatte jeder Mitschüler die vorgefertigte Meinung, dass man als Schauspieler wahnsinnig arrogant und scheiße sein muss.
Studt: Weil einem die Unsicherheit schnell als Arroganz ausgelegt wird.
Toboll: Es gab auch tätliche Angriffe, unheimlich viel Neid. Da wurde ich dann schnell mal »Nestflittchen« genannt.

Haben Sie damals eigentlich gedacht, dass Sie jetzt ganz schnell reich werden?
Henkel und Bach: Ja.
Was haben Sie denn am Tag verdient?
Martz: Tagesgagen gab es nicht. Ich glaube, ich habe 20 000 Mark bekommen für die erste Serie.
Studt: Für den Dreiteiler habe ich auch so um die 20 000 Mark bekommen.
Henkel: Ich auch.
Bach: Meine zweite Gage, für Jack Holborn, habe ich mit 13 Jahren selbst mit dem Produzenten Bernd Burgemeister am Hoteltresen verhandelt. Er fragte mich, was ich mir finanziell vorstellen würde, da habe ich gesagt: Bernd, ich will das Doppelte wie bei Silas. Und ich habe es bekommen.

Die Serie Anna wurde auf DVD mehr als 100 000 Mal verkauft. Bekommen Sie noch Geld, wenn die Serien heute wiederholt werden oder auf Video erscheinen?
Bach:
Wenn Silas wiederholt wird, kriege ich geschätzte 150, 30 Euro. Ich weiß von einem Vertriebsleiter von Saturn, dass die DVD-Boxen der alten Weihnachtsserien sehr gut laufen. Aber davon sehen wir keinen Cent.
Studt: Im Vergleich dazu, was meine Freundinnen damals als Babysitter verdient haben, war es aber viel Geld.
Henkel: Dafür, dass man Spaß hatte, war das doch super.
Studt: Ja, ich hätt’s auch ohne Geld gemacht.

KATHRIN TOBOLL
Serie: Das Nesthäkchen
Kathrin Toboll wurde als Achtjährige auf der Gartenparty der Eltern ihrer besten
Freundin entdeckt. Von der Freundin wusste sie schon, dass der Regisseur Gero
Ehrhardt ein Kind für eine Serie suchte. Die Freundin selbst durfte nicht mitspielen, weil ihre Eltern das nicht erlaubten, ein kleines Drama damals. Kathrin Toboll ist heute 38 und arbeitet als Produzentin bei der Film- und Fernsehproduktion Teamworx. Gerade entwickelt sie eine Sitcom für RTL über einen alternden Showmoderator und eine junge Praktikantin in einer Kuppelshow und schreibt für Sat.1 einen Pilotfilm für eine Serie.

Wenn Sie zurückblicken: Finden Sie es in Ordnung, die eigenen Kinder in einer Fernsehserie mitspielen zu lassen? Es war ja nach dem Riesenerfolg von Timm Thaler 1979, dem ersten Weihnachts-Sechsteiler, klar, welche Ausmaße der Ruhm annehmen könnte. Und man kennt das traurige Schicksal der berühmtesten Kinderstars, von Macaulay Culkin oder von Daniel Radcliffe, dem Harry-Potter-Darsteller, der zum Alkoholiker wurde.
Studt: Wenn die Eltern ihre Kinder drängen, tut mir das immer unglaublich leid. Das merke ich beim Drehen mit Kindern heute sofort. Aber ich kann da nichts machen und versuche, mit dem Kind eine schöne Zeit zu haben, sodass es zumindest fröhlich aus dem Dreh rausgeht. Du kannst den Eltern ja nicht reinreden.
Bach: Ich bin oft gefragt worden: Hat dir das geschadet? Was wurde aus deiner Kindheit? Ich sage dann: Leute, Silas und Jack Holborn waren zwei Serien à drei Monate, das waren Abenteuer und natürlich auch Strapazen. Aber wir reden doch nicht über sieben Jahre Straflager. Mich hat das Drehen als Person eher gestärkt und charakterlich weiter gebracht, als wenn ich drei Monate weiter mit Schlümpfen gespielt hätte. Das hat mir Reife gegeben und dem Kindsein trotzdem keinen Abbruch getan.
Henkel: Man wusste: Du bist Teil des Teams, du wirst um fünf Uhr morgens abgeholt und abends irgendwann nach Hause gebracht. Das war schön, und zugleich war klar, dass man ein wichtiger Baustein des Ganzen war. Ich fühlte mich erwachsen.

Hat man als Kind auch Momente, in denen man vor der Kamera Angst bekommt und denkt, ich schaff das nicht?
Martz: Das kommt später.
Bach: Da kommt der Regisseur und sagt: Pass mal auf, du steigst aufs Pferd und reitest wie der Wind in die Richtung. Und dann machst du das. Weil du dir keine Gedanken machst, bist du in dem Moment der Richtige.

Sigi Rothemund, der Regisseur von Silas, hat erzählt, dass Sie ihn angeschrien haben, als er einen Dreh abbrechen wollte. Weil Sie unbedingt weitermachen wollten.
Bach: Da funktionierte das Boot nicht, eine Unterwasserkamera ging kaputt, es lief eigentlich alles schief – und acht Stunden später ging der Flug von den Cook Islands zurück nach Deutschland. Ich hatte eine beidseitige Mittelohrentzündung und musste auf drei, vier Meter runtertauchen, wo der Kapitän lag. Sie dachten, das packe ich nicht mehr. Und ich hab gebrüllt: Nein, wir machen das jetzt! Warum, weiß ich bis heute nicht.
Toboll: Ich war noch zu sehr Kind, um das zu tun. Mein Körper hat irgendwann bei den Dreharbeiten gestreikt, ich hatte hohes Fieber, bekam Wadenwickel und fiebersenkende Mittel vom Notarzt, damit ich weiterdrehen konnte. Das wurde knallhart durchgezogen, bis jemand aus dem Team todesmutig meine Mutter informierte, die ans Set kam und ausflippte. Ich musste zwei Wochen pausieren, weil ich eine schwere Lungenentzündung hatte.

Ihre Mutter war zickig, fand der Nesthäkchen-Regisseur.
Toboll: Aus seiner Sicht war sie das sicher. Aber sie hat sich einfach Sorgen gemacht und mich gut behütet.

»Ich weiß nicht, wie viele Schauspieler ich kenne, die zum Psychologen gehen.«

War das Ihre Rettung?
Toboll: Sie hat immer darauf bestanden, dass diese Serie eine einmalige Sache ist. Sie hat sich später schon gefragt, ob das zu strikt war, aber ich glaube, es war genau das Richtige.

Ist das Etikett »Kinderstar« schlecht für die spätere Karriere?

Martz: Als Kinderdarsteller hat man nicht die Möglichkeit zu wachsen. Wenn Jürgen Vogel älter wird und weniger Haare hat, geht das Publikum mit. Als ich anfing, war ich 16 und sah sehr kindlich aus. Dieses Bild von Patrik Pacard blieb. Die Leute sagen: Du warst ein Teil meiner Jugend. Dieser Teil der Jugend bin ich aber jetzt nicht mehr, schon rein äußerlich. Und das ist eine Diskrepanz, mit der die Leute Probleme haben.
Bach: Der Schritt vom Kinderstar zum erwachsenen, ernst zu nehmenden Schauspieler ist fast unmöglich. Ein paar von uns haben’s geschafft, ein Großteil, auch in Amerika, hat’s eben nicht geschafft. Weil man als Kind auch ganz anders spielt: natürlich, frei, naiv. Mit 18 oder 20 schaut man auf einmal in den Spiegel und denkt, wie gucke ich denn jetzt böse? Du fängst an, darüber nachzudenken: Wie spiele ich jetzt diese Rolle?

HENDRIK MARTZ
Serie: Patrik Pacard
Die Geschichte war abenteuerlich: Ein Biochemiker hat eine Formel erfunden, mit der er Ananas und Tomaten auf Gletschern anbauen kann, Agenten sind hinter ihm her, und Patrik, gespielt von Hendrik Martz, gerät mit seiner Familie zwischen die Fronten. Patrik Pacard war die sechste ZDF-Weihnachtsserie, Produzent war wie meistens Bernd Burgemester, Regie führte Gero Ehrhardt, Justus Pfaue schrieb das Drehbuch. Heute arbeitet Martz, 44, als Synchronsprecher, ist Schauspiel-und Business-Coach und entwickelt eine Mockumentary, die Parodie auf einen Dokumentationsfilm.

Frau Toboll, Sie sind auf die Schauspielschule gegangen, als Sie 20 waren.
Toboll: Drei Tage lang. Das ging nicht. Ich hatte als Praktikantin bei Nicht von schlechten Eltern gearbeitet und Straßen abgesperrt und Kaffee gekocht. Dabei habe ich noch mal den Wunsch verspürt zu spielen und mich in München auf der Schauspielschule beworben. Und wurde genommen. Aber ich habe gemerkt, das bin ich nicht, der »kleine Hai« hoch und runter.

Der »kleine Hai«?
Martz: Da sind klassische Übungen zur Sprecherziehung. Ich bin ja auch auf die Schauspielschule gegangen, in New York, das war super. Aber in Deutschland wollte ich mir das nicht antun, mich als Prominenter auszuliefern. Das, was wir in New York gemacht haben, hatte nichts mit dem Job, wie ich ihn kannte, zu tun. Das war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, mich ausprobieren zu können. Eine Art Selbsterforschung. Bei den Weihnachtsserien sind wir ja gecastet worden und waren von der ersten Klappe an in einer Produktion. (Zu Studt, Toboll und Henkel, die flüstern und kichern:) Worüber amüsiert ihr euch denn so gut?
Studt: Wir stellen gerade fest, wie ähnlich wir uns vom Aussehen alle sind, Kathrin, Alexandra und ich. Alle blond, Sommersprossen. Auffällig, oder?

Auch Silvia Seidel sah ja vom Typ her ein bisschen so aus. Was haben Sie gedacht, als Sie von ihrem Selbstmord in diesem Jahr gehört haben?

Studt: Ich kannte sie nicht persönlich, aber es hat mich umgehauen. Dabei hatte ich mir jahrelang gar keine Gedanken über sie gemacht. Es hat mich irritiert, dass ich von ihrem Tod auf so einer persönlichen Ebene getroffen war, dass ich weinen wollte. Sie hat ja oft von den Schattenseiten als Ex-Kinderstar gesprochen. Sie muss den Beruf so ernst genommen haben, dass sie nicht wie wir die nötige Distanz gefunden hat.
Toboll: Mich hat an der Berichterstattung nach ihrem Tod so geärgert, dass sofort behauptet wurde, nach Anna hätte hat nie wieder etwas geklappt und sie hätte sich darum umgebracht. Das glaube ich einfach nicht. Silvia Seidel schien unter Depressionen zu leiden. Vielleicht war das sogar familiär bedingt: Ihre Mutter hat sich ja auch umgebracht.

Das war 1992.
Bach: Und ihr wurde damals nicht nur vorgeworfen, dass sie gleich nach dem Tod der Mutter weitergedreht hat, sondern dass ihr Verhalten sogar zum Tod der Mutter beigetragen hat. Das hat sie sehr mitgenommen.
Toboll: Bei Robert Enke zum Beispiel wurde die Krankheit in den Vordergrund gestellt, die Depression, bei Silvia Seidel nicht; da ging es dann um eine Wirtin, die gesehen haben wollte, wie sie alleine in einer Kneipe Schnaps getrunken und getanzt hat. Ich fand traurig, dass bei Silvia nach ihrem Tod niemand da war, der sie beschützt hat, der gesagt hat: Es war ganz anders.
Bach: Ich weiß nicht, wie viele Schauspieler ich kenne, die zum Psychologen gehen. Das gab es doch früher nicht, heute ist es Normalität. Der Druck ist so hoch.
Studt: Viele Schauspieler definieren sich extrem stark über ihren Beruf. Es kommt selten vor, dass man mit Schauspielern über was anderes redet als übers Schauspielern.
Martz: Man befindet sich dauernd in einer Bewerbersituation und muss oft Ablehnung aushalten. Wenn du deine Persönlichkeit, dein tiefstes Inneres preisgibst und dann abgelehnt wirst, ist das sehr hart. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Schauspieler so oft private Probleme haben, auch mit Alkohol und Drogen.
Bach: Man muss der Typ dafür sein. Man muss damit umgehen können, dass die eigenen Filme im Regal verschwinden.
Martz: Geht dir das nicht nahe?
Bach: Nein. Ich nehme das tatsächlich nicht persönlich. Ich ärgere mich darüber, wenn jemand ein Format versenkt, das viel Geld gekostet hat und in dem viel Arbeit steckt. Aber dass ich persönlich dann nicht gezeigt werde, ärgert mich nicht.

KATJA STUDT
Serie: Clara
Als Katja Studt 1993 das Reitermädchen Clara in der letzten der ZDF-Weihnachtsserien spielte, war sie bereits 19 Jahre alt. Entdeckt wurde allerdings auch sie als Kind: mit 13 für Dieter Wedels Dreiteiler Wilder Westen inclusive. Nach Clara arbeitete sie mit den Regisseuren Tom Tykwer (Die tödliche Maria) und Pepe Danquardt (Mörderinnen) und spielte neben Martina Gedeck in Bella Martha. In diesem Jahr hat sie das Familiendrama Wiedersehen in Malaysia für die ARD gedreht, an Weihnachten ist sie in Kreuzfahrt ins Glück im Anschluss an Das Traumschiff zu sehen.

Ist das eine Gabe?
Bach: Klar finde ich es toll, wenn jemand wie Jürgen Vogel sich nicht verbiegen lässt und nur Sachen dreht, hinter denen er zu hundert Prozent steht. Aber man muss wissen, wo man selbst im Leben steht: Ich habe zwei Kinder, ein Häuschen, ein Auto und ein Motorrad, ich will gut leben und nicht in meiner Zwei-Zimmer-WG auf mein Kunstprojekt warten, das auf sieben kleinen Filmfesten ausgezeichnet wird. Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden, und das hilft mir. Ich kann mir natürlich vorstellen, dass Schauspieler, die andere Ambitionen haben, verzweifeln.

Herr Bach, als Sie mit Silvia Seidel Anna gedreht haben, wären Sie da auf die Idee gekommen, dass sie depressiv sein könnte?
Bach: Gar nicht, null. Sie war locker, unbedarft, sie war ja gerade erst 18. Ich glaube, dass Silvia gecastet wurde, weil sie eine unglaubliche Kamerapräsenz hatte. Wenn man sie auf der Straße getroffen hat, war sie eher wie ein graues Mäuschen. Aber vor der Kamera strahlte sie. Das Schwermütige kam erst viel später raus, nach dem Erfolg, nach der Tragödie mit ihrer Mutter, als sie unbedingt weiter Schauspielerin sein wollte, aber die Rollen nicht kamen.
Martz: Es wurde in den Medien auch lange ein falsches Bild von Schauspielern gezeigt, als ob wir nur auf dem roten Teppich hin und her laufen würden und reich wären. Das ist Schwachsinn. Heutzutage Schauspieler zu sein heißt, sich jeden Tag auf diesem wirklich hart umkämpften Markt zu beweisen und einen Businessplan zu haben. Denn Schauspieler kriegen kein Arbeitslosengeld, weil sie nicht in eine Arbeitslosenversicherung einzahlen. Manchmal denkt man sich, das kann doch nicht sein, ich gebe Interviews, stehe in der Zeitung, mache meinen Job, aber ich kriege Hartz IV. Davon hat Silvia ja auch gesprochen, Hartz IV hat sie auch mal bezogen.
Bach: Ich glaube, wie Kathrin sagt, da kam viel zusammen: Silvia selbst hat irgendwann gesagt, dass sie gerne Kinder hätte, aber nicht den richtigen Mann dazu hat. Ein unerfüllter Kinderwunsch, der frühe Tod der Eltern, eine Presse, die einen dauernd nach unten schreibt – wenn du dann noch gesundheitlich vorbelastet bist und nicht das Umfeld hast, die Freunde, die einen auffangen und sagen, komm, wir fangen den Kampf noch mal von vorne an, dann sieht man vielleicht keinen Ausweg mehr.
Studt: Du sagst »Kampf«. Ich glaube, das ist schon der falsche Ansatz gegen eine Depression.
Bach: Drei Wochen vor ihrem Tod hatten wir ein gemeinsames Casting für ein neues Format in Berlin. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich darauf freut und es schön fand, dass wir wieder zusammen vor einer Kamera stehen. Aber man merkte auch, da sitzt tief drinnen ein dicker Kloß. Nur hätte ich nie gedacht, dass sie sich wenige Wochen später das Leben nimmt.

Also standen tatsächlich Dreharbeiten an?

Bach: Nein, das war erst mal eine Formatentwicklung, wie man heute sagt. Aber das macht ihren Tod natürlich umso seltsamer, sie hatte ja jobmäßig etwas vor Augen. Darauf hätte man aufbauen können.

»Ich kann mir natürlich vorstellen, dass Schauspieler, die andere Ambitionen haben, verzweifeln.«

Einerseits wollen Schauspieler hohe Einschaltquoten oder volle Theatersäle, aber dann sagen sie, sie leiden darunter, im Rampenlicht zu stehen. Wie passt das zusammen?
Studt: Ohne jemandem hier zu nahetreten zu wollen: Ich glaube, dass viele Leute, die Schauspieler werden, einen ganz großen Minderwertigkeitskomplex haben. Das sind teilweise verunsicherte Menschen, die mit der Bühne und dem Erfolg etwas kompensieren.
Bach: Aber es gibt auch viele Schauspieler, die den Beruf einfach gerne machen und die Popularität in Kauf nehmen. Die jeden Abend im Theater rausgehen und sich vor 300 Menschen stellen, um ihnen einen schönen Abend zu machen.
Studt: Als ich das erste Mal Theater gespielt habe, hatte ich eine Heidenangst. Aber es gehört dazu. Mit Mitte zwanzig hatte ich einen Zusammenbruch und bin dann allein um die Welt gereist.
Henkel: Du hattest einen Zusammenbruch?
Studt: Das war der Druck, der mir am Anfang nicht bewusst war. Es hat mir ja Spaß gemacht, und ich habe sehr schnell international gearbeitet, mit Ralph Fiennes gespielt und Gérard Depardieu, das war toll. Ich habe nie geraucht und mochte Alkohol nicht, aber jeden Abend ging es am Set rund, das war mir so zuwider. Ich hatte irgendwann das Gefühl, ich spiele mein Leben, aber ich lebe es nicht. Ich gebe ganz viel von mir, kann aber überhaupt nicht mehr auftanken.

Sie wollten ein Schauspielleben ohne Allüren und Exzesse führen?
Studt: Vielleicht war ich zu langweilig. Ich bin richtig körperlich zusammengebrochen. Dann habe ich einfach einen Rucksack genommen und bin gereist, das hat mich wieder geerdet. Ich stand tatsächlich noch nie gern im Mittelpunkt. Aber wenn ich in einer Rolle bin, genieße ich das, weil ich weiß, alle um mich herum haben eine Funktion,

Deswegen sind Sie nach der Auszeit doch zurück vor die Kamera?
Studt: Ja. Wenn ich spiele, bin ich glücklich. Ich bin auch sonst glücklich, aber ich habe mich gefragt, wie ein Beruf mich so in die Knie zwingen kann. Und andere auch. Ein britischer Freund, auch ein Schauspieler, hat sich umgebracht. Es ist ein Unterschied, wenn man begreift, das ist jetzt dein Beruf und nicht mehr nur Leidenschaft. Ich habe dann gemerkt, ich muss mein Privatleben so pflegen, dass ich meine Stärke daraus ziehen kann. Ich hab einfach lernen müssen, nach Drehschluss, etwa nach einer psychisch belastenden Vergewaltigungsszene, zu sagen, das war Arbeit, jetzt ist Freizeit.

ALEXANDRA HENKEL
Serie: Ron und Tanja
Schon ihre Mutter spielte 1954 als Kind in einem DEFA-Film in Potsdam-Babelsberg mit. Alexandra Henkel bekam mit 17 das Angebot, die weibliche Hauptrolle in Ron und Tanja zu spielen. Die Serie lief 1990, entsprechend ging es um Berlin zur Wende, Rassismus und die Liebe zwischen einem Skater und einem Querflöte spielenden Mädchen. Trotz frühen TV-Ruhms wurde Alexandra Henkel, geboren 1972 in Berlin, lieber Anwältin am Arbeitsgericht, »meistens auf Arbeitgeberseite«.

Frau Toboll, Sie sind Produzentin geworden. Hat der Film Sie trotz Ihrer schlechten Erfahrungen als »Nesthäkchen« nicht losgelassen?
Toboll: Ich finde die Branche spannend. Mich fragen öfter Leute, ob ich mich nicht mal selber in eine Serie reinschreiben möchte, aber es ist eine Horrorvorstellung, wieder vor der Kamera zu stehen, dafür bin ich heute viel zu klemmi. Auch wenn ich Tina Fey großartig finde, die in den USA die Erfolgsserie 30 Rock geschrieben hat und selbst eine der beiden Hauptfiguren spielt.

Stimmt es, dass Sie vor einigen Jahren mal die Idee hatten, die Weihnachtsserie neu aufleben zu lassen?
Toboll: Ja, aber das ZDF hat kein Interesse daran, das wieder aufleben zu lassen.

Was ist denn heute vergleichbar mit den alten Weihnachtsserien? Der Moment, an dem die ganze Familie vor einem Fernseher sitzt, gibt es den noch?
Martz:
Mein Lieblingszitat zum Fernsehen kommt von Françoise Sagan: »Das Fernsehen hat aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis gemacht.«
Toboll: Es gibt die Fußball-Weltmeisterschaft.
Martz: Heute schauen die Jugendlichen keine Weihnachtsserien mehr. Meine Tochter ist zwei Jahre alt, und die guckt Zeichentrick auf Youtube, Trotro, die Abenteuer eines kleinen Esels, das geht zwei Minuten dreißig, die Serie hat zwanzig Millionen Aufrufe bei Youtube.
Aber was machen die Familien heute an Weihnachten gemeinsam?
Martz: Jeder sitzt vor seinem eigenen Bildschirm, Computer oder Smartphone.

Ist das schade?
Martz: Ach komm, in den Achtzigerjahren gab es drei Sender, das Programm war bis auf ein paar Sendungen schlecht. Und alle dachten: Mann, wann kann ich endlich sehen, was ich will und wann ich will. Genau das haben wir jetzt, auf Youtube sogar umsonst. Der Fernseher ist bei uns seit einem halben Jahr aus. Das ist ein Fortschritt.
Bach:
Ganz ehrlich: Ist doch schön, wenn man mal etwas nicht nur auf dem iPad ansieht. Ich finde es grundsätzlich schade, dass es kein Familienfernsehen mehr gibt.
Martz:
Es gibt doch den Tatort sonntags.
Bach: Klar, ist der gut, aber wir haben nur noch Krimi oder Comedy in Deutschland. Und Sendungen wie Berlin – Tag und Nacht, mit Laiendarstellern. Ich würde mal gern wissen, in welcher anderen Branche so viele Laien arbeiten? Es geht doch auch niemand in die Charité, der kein gelernter Arzt ist, und sagt: So, ich möchte jetzt mal einen Blinddarm rausnehmen. Eigentlich laufen doch nur noch Reality-Dokus, Bauer sucht Frau, und so.
Martz: Und du als Produzentin bist schuld, Kathrin! Was man gucken kann, Stromberg oder so, das ist halt nicht von hier. Geklaute Ideen.

Welche Ihrer alten Serien würden Sie dieses Weihnachten am liebsten wiedersehen?
Henkel: Nesthäkchen.
Toboll: Anna. Ich finde Nesthäkchen heute grauenhaft.
Bach: Patrik Pacard. Weil Agenten drin vorkamen. Und die toll absurde Idee, Ananas in Norwegen anzubauen.
Martz: Und Timm Thaler war super. Unser Wegbereiter.

Kennt einer von Ihnen Thommy Ohrner persönlich?
Bach: Klar. Thommy hat allerdings früh versucht, sich von diesem Kinderstarsein zu distanzieren. Wie Silvia auch. Thommy wusste: Die Leute, die einen als Kind sehen, diesen süßen Silas, Timm Thaler, den blonden Patrik Pacard, vergleichen unwillkürlich den älteren Schauspieler damit, und dann schneidet man nicht mehr gut ab. Weil das Süße eben weg ist.
Martz: Mir wird ja sogar mein Haarausfall persönlich übel genommen! Da empören sich die ehemaligen Fans: Kann der nicht wenigstens die Haare kurz rasieren? Damit ich mir das Elend nicht angucken muss!

Fotos: Stefan Heinrichs