SZ-Magazin: Sie sind schwanger und seit Wochen unterwegs, Pressetouren für zwei Filme: Vertraute Fremde mit Brad Pitt und Assassin’s Creed mit Michael Fassbender. Sind Sie nicht fix und fertig?
Marion Cotillard: Es geht. Ich versuche auf meine Ernährung zu achten.
Sie erwarten Ihr zweites Kind, Ihr Sohn Marcel ist jetzt fünf Jahre alt. Sind Sie kämpferischer oder milder, seit Sie Mutter sind?
Ich weine schneller. Es muss gar nichts Dramatisches passieren, ich kann auch etwas sehr Schönes sehen, und ich heule los. Ich war immer schon eine empfindsame Seele. Das ist noch schlimmer geworden. Aber ich bin auch stärker geworden. Und das Muttersein hat mich geerdet. Anfangs, als ich gestillt habe, versuchte ich noch, Dinge nebenher zu erledigen. Dann habe ich begriffen, ich muss ganz und gar auf mein Kind konzentriert sein. Denn Stillen ist nicht nur Füttern, es ist eine Übertragung von Energie. Da kann man nicht nebenher ein Buch lesen.
Und telefonieren?
Das habe ich nie versucht. Schon wegen der Strahlen. Da bin ich total paranoid. Wenn ich mir vorstelle, was für eine lärmende Energie da angekommen wäre!
Wenn Sie so vorsichtig sind, was meinten Sie eben mit: Ich versuche auf meine Ernährung zu achten?
Ich esse Dinge, die ich verabscheue.
Warum tun Sie das?
Ich habe mich intensiv mit der Frage der Konditionierung von Kindern beschäftigt. Wir sind ja alle konditioniert. Viele junge Eltern denken darüber nach, wie sie ihr Kind ernähren werden, so wie Jonathan Safran Foer, der das Buch Tiere essen schrieb, als seine Frau mit dem ersten Kind schwanger war. Da stellte sich mir die Frage: Werde ich meinem Kind nur Dinge zu essen geben, die ich mag? Wahrscheinlich. Aber ist es nicht merkwürdig, dass er Sachen nicht bekommt, nur weil ich sie nicht mag? Dabei könnten sie gesund sein. Und seinen Horizont erweitern. Also fing ich an, Fenchel und Sellerie zu essen. Ich musste mich dazu wirklich zwingen.
Aber stellt das nicht alles in Frage, was Sie an Ihre Kinder weitergeben werden? Stellt das nicht Erziehung komplett in Frage?
Ich werde meinem Kind natürlich sagen: Wenn du dir die Zähne putzt, lass das Wasser nicht laufen. Weil ich davon überzeugt bin, dass das die bessere Idee ist. Aber nur weil ich Sellerie nicht mag, heißt das nicht, dass Sellerie nicht gut ist. Übrigens habe ich mich selbst erfolgreich umkonditioniert. Mittlerweile mag ich Sellerie. Und Fenchel.
Haben Sie auch Musik gehört, die Sie nicht mochten, als Sie mit Ihrem ersten Kind schwanger waren?
Nicht in der Schwangerschaft. Aber seitdem höre ich oft Musik, die ich nicht mag. Und gebe mir Mühe, nicht zu werten. Wenn Marcel, der gerade seine eigenen Vorlieben entwickelt, was Musik betrifft, von den Großeltern oder den Nachbarn zurückkommt und mir begeistert vorspielt, was er dort gehört hat, werde ich ihm nicht sagen, das ist schauerlich – auch wenn ich es schauerlich finde. Wenn er mich fragen würde, wie ich es finde, würde ich ihm die Wahrheit sagen. Aber Stillen ist viel existenzieller als der Musikgeschmack. Ich bin die Einzige, die mein Kind in seinem Leben stillen wird. Und Ernährung ist unser Treibstoff.
Ihr Sohn heißt Marcel, wie Edith Piafs große Liebe. Sie haben mit der Rolle der Piaf einen Oscar gewonnen, den ersten für eine nicht-englischsprachige Hauptrolle seit Sophia Loren 1962. Heißt er deshalb Marcel?
Nicht wirklich. Ich wollte meinem Sohn einen Namen geben, den es in meiner Familie schon gab. Und Marcel gab es in beiden Familien, auch in der meines Mannes. Ich finde den Namen wundervoll.
Nach dem Oscar für La vie en rose sagten Sie, dass Sie sich ganze Lebensgeschichten zu den Figuren ausdenken, die Sie spielen, obwohl von diesen Fantasien ja nichts im Film zu sehen ist. Warum tun Sie das?
Ich muss die Leerstellen füllen, um die Figur zum Leben zu erwecken. Es gefällt mir, wenn vieles aus dem Leben einer Filmfigur im Dunkeln liegt und ich es für mich selbst erhellen muss.
In Assassin’s Creed spielen Sie die Wissenschaftlerin Sophia Rikkin, die mit ihrem Vater zusammen ein gigantisches Forschungsinstitut führt. Auch bei ihr liegt viel im Dunkeln.
Man weiß nichts von Dr. Rikkin. Ob sie einen Mann hat oder Kinder. Man vermutet, dass sie sich ihrem Beruf verschrieben hat. Sie wirkt einsam, isoliert. Geheimnisvoll. Wie ich es mag. Die einzige Beziehung, über die man etwas erfährt, ist die zum Vater, den Jeremy Irons spielt.
Der sagt zu seiner Tochter: Du warst immer klüger als ich. Es klingt nicht, als wäre er stolz auf sie. Es klingt wie Konkurrenz. Kennen Sie das?
Die Konkurrenz kommt vor allem von ihm. Er ist ein finsterer Typ. Und manipuliert von Menschen, die wichtiger und einflussreicher sind als er. Seine Schwächen machen ihn so interessant. Die Tochter aber strebt natürlich nach seiner Anerkennung. Sie hatte, so stelle ich mir das vor, keine so glückliche Jugend.
Was stellen Sie sich weiter vor?
Jeremy Irons hat diesen vollkommenen britischen Akzent. Den kann ich mir beim besten Willen nicht aneignen, obwohl ich mittlerweile sehr ordentlich Englisch spreche. Also habe ich mir überlegt, dass Sophia nicht bei ihrem Vater aufgewachsen ist. Denn wenn man mit zweisprachigen Eltern aufwächst, spricht man meistens beide Sprachen akzentfrei. Deswegen habe ich mir eine Kindheit vorgestellt, in der der Vater nicht da war.
Wie glücklich oder unglücklich war Ihre Jugend?
Ich war eine schwierige Jugendliche und fühlte mich ziemlich einsam. Aber damit bin ich ja absolut kein Einzelfall.
Woran lag es bei Ihnen?
Ich habe mir damals schon Sinnfragen gestellt. Und hatte Erwartungen ans Leben, die anders waren als die der Jugendlichen um mich herum. Ich habe mich gefragt: Was für eine Funktion hat der Mensch zu erfüllen, für sich selbst und in Bezug auf die anderen?
Also waren Sie einsam?
Niemand hat mich verstanden, ich selbst habe mich auch nicht verstanden.
Waren Ihnen die anderen Kinder zu einfach? Zu unkompliziert? Zu grausam?
Ich glaube, Kinder sind nicht von allein grausam. Sie sind nur grausam in einer Gesellschaft, in der man sie so erzieht. Es gibt eine Form von Gewalt, die Kinder austesten, Gewalt gehört zum Menschen. Aber Grausamkeit basiert auf Konkurrenz. Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft, die die Leute sofort einteilt in unterschiedliche Arten, Klassen, Geschlechter. Und darin entsteht Grausamkeit. Wir sind eine nicht sehr weit entwickelte Gesellschaft. Ökologisch sind wir eine Katastrophe. Und Frauen verdienen bis heute weniger als Männer. Das wäre in einer weiter entwickelten Gesellschaft gar nicht denkbar.
Sie haben sich für einen Kurzfilm, der Forehead Tittaes heißt, kleine Plastikbrüste auf die Stirn geklebt. Was wollten Sie damit sagen?
Das war ein Scherz. Ein Sketch. Es sollte kein Angriff auf den Sexismus sein. Aber wenn es einer war, auch gut. Wenn man auf humoristische Art auf Missstände aufmerksam machen kann, ist es doch toll. Ich selbst war noch nie mit Sexismus konfrontiert, aber ich weiß natürlich, dass Sexismus sich ständig ereignet. Und es ist für mich ein weiterer Beweis dafür, wie rückständig die Gesellschaft ist, in der wir leben.
Sexismus drückt sich ja nicht nur dadurch aus, dass Ihnen jemand an den Hintern grabscht.
Natürlich, Sexismus ist auch ein Filter, durch den man die Welt betrachtet. Diesen alltäglichen Sexismus erlebt jeder, auch ich. Man erfährt ihn nicht unbedingt am eigenen Leib und erkennt ihn oft erst mal gar nicht.
Wann haben Sie zuletzt diesen alltäglichen Sexismus erlebt?
Vor zwei Wochen war ich bei den Governors Awards in Los Angeles. Die Cutterin Anne V. Coates wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Und ja, sicher ist ihre Biografie für eine Frau etwas Besonderes. Sie hat sich in den Sechzigerjahren hochgearbeitet. Sie hat Lawrence von Arabien geschnitten und 1962 dafür einen Oscar bekommen. Aber in dem kleinen Film, der bei der Verleihung über sie gezeigt wurde, lag die Betonung immer noch darauf, dass sie für eine Frau tolle Leistungen erbracht hätte. Das ist Sexismus, und dagegen muss man kämpfen. Nicole Kidman kam auf die Bühne, um ihr den Preis zu überreichen. Sie sagte, Anne V. Coates sei nicht nur eine Wegbereiterin für uns Frauen, sondern für uns alle. Und dass sie den Preis für ihre herausragende Arbeit bekam und nicht für ihre herausragende Arbeit als Frau. Es war gut, dass sie das zurechtgerückt hat.
Marion Cotillard
begeisterte das deutsche Kinopublikum mit dem Film Der Geschmack von Rost und Knochen. Die 41-jährige Französin ist eine der wenigen europäischen Schauspielerinnen, die Hauptrollen in Hollywood und der Heimat spielen. Jetzt ist sie in zwei US-Filmen zu sehen: an der Seite von Michael Fassbender (Assassin’s Creed) und an der Seite von Brad Pitt (Vertraute Fremde). Auf die Gerüchte um sie und Pitt reagierte Cotillard, indem sie per Instagram bekanntgab, dass der Mann ihres Lebens der Vater ihres Sohnes und ihres ungeborenen Kindes sei, Guillaume Canet: »Er ist meine Liebe, mein bester Freund, alles, was ich brauche.«
Foto: Kerry Brown/2016 Twentieth Century Fox Film Corporation/dpa