»Ich höre ausschließlich Lob«

Der New Yorker Maler Julian Schnabel ist ein selbstgefälliger, unerträglicher Egomane. Jetzt erzählt er in einem Film so weise und so berührend vom Leben eines Schwerbehinderten, dass man sich schämt, ihn jemals kritisiert zu haben

An besseren Tagen herrscht Julian Schnabel in seinem Palazzo Chupi gerecht und milde – so wie er sich einen venezianischen Fürsten des 16. Jahrhunderts vorstellt. Doch an diesem Januartag hat die Grippe den 56-jährigen Maler ans Bett gefesselt: ein weiches, großes Lager, auf dem er es sich in einem seidenen Bademantel bequem gemacht hat. Von seinem Kopfkissen aus genießt er den wunderbaren Blick über New Yorks West Village und seine eigenen Gemälde, die eng beieinander zwischen den Fenstern hängen. Oder er betrachtet die hölzerne Decke in sechs Meter Höhe, die er von einem Brooklyner Spezialisten aus altem Holz hat anfertigen lassen. »Manchmal liege ich hier und schaue mir stundenlang diese wundervolle Deckenkonstruktion an«, erklärt Schnabel.

Im Palazzo herrscht hektische Baustellenatmosphäre. Den Lift besetzen mexikanische Arbeiter, um Gipsplatten in die oberen Etagen zu transportieren. In den unteren Stockwerken nageln andere Arbeiter rohe Holzplanken an die Wände. Das Gebäude besteht aus zwei ehemaligen Fabriketagen, die Schnabel seit 1987 als Atelier, Lager und Büro dienen. Hier arbeiten eine Handvoll Angestellte an Holzbänken, und ein vier Meter hohes Selbstporträt, das Schnabel an einem Strand zeigt, erinnert daran, wer im Palazzo die Gehälter zahlt.

Auf dem Dach der Fabrik errichtete der Fürst ein Apartmentgebäude, in dem er selbst lebt und wo derzeit vier, fünf weitere Wohnungen entstehen. Bono und Richard Gere werden einziehen, heißt es. Weil das Haus mit seinem rosa Putz und den venezianischen Verzierungen die Häuser der Umgebung deutlich überragt, waren nicht alle Nachbarn auf Anhieb erfreut.

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Doch die Aufregung hat sich gelegt, auch weil Schnabels bärenhafter Charme so unwiderstehlich wirkt. Wenn der Fürst in Pelzmantel und kurzer Hose bei einem Anwohner an der Tür klingelt und lächelnd ankündigt, den Palazzo Chupi errichten zu wollen, der das Sonnenlicht für immer rauben wird, ist jeder Protest zwecklos. Viel lieber möchte jeder Anwohner Schnabel zu einem Tee einladen und darüber plaudern, wie dieser glamouröse Exzentriker sein Vermögen in den Achtzigerjahren ermalte – mit überdimensionalen Ölgemälden, die nicht selten ihn selbst zeigen.

Nun hat er seinen dritten Kinofilm gedreht, und die Reaktionen waren heftig und von überschäumender Begeisterung – zu viele Lobpreisungen haben den Regisseur derart geschwächt, dass er erstmals seit Jahren erkältet ist. Schmetterling und Taucherglocke ist die Verfilmung der gleichnamigen Memoiren von Jean-Dominique Bauby, dem ehemaligen Chefredakteur der französischen Elle. Bauby erlitt mit 43 Jahren einen Schlaganfall und konnte danach nur noch ein Augenlid bewegen. Genug für ihn, um einen Bestseller zu diktieren, der den Leidensweg eines Patienten mit Locked-In-Syndrom beschreibt, eines Menschen also, dessen gesunder Verstand in einem gelähmten Körper gefangen ist.

Schnabel verfilmte die Geschichte mit wackeliger Kamera, die die Ereignisse zunächst aus Baubys Perspektive zeigt, immer wieder in Traumsequenzen übergeht und schließlich virtuos die Bewusstseinszustände Baubys widerspiegelt. Der Chefredakteur fragt aus dem Off: »Was für ein Gemüse bin ich denn jetzt? Eine Gurke? Eine Karotte?« Abwechselnd sieht man das Krankenzimmer mit Baubys Augen und die Vision von Kollegen im Café, die über seinen Zustand lachen. »Dieser Film«, schrieb das Magazin New Yorker, »ist eine vollkommen überwältigende sinnliche Erfahrung.« Aus jedem Winkel der Erde hagelt es Auszeichnungen, sodass Schnabel mit dem Zählen der Preise nicht mehr nachkommt. Neulich hatte er sich zur Verleihung des »New York Film Critics Circle Award« aufgerafft, kurz darauf gewann er den Golden Globe, allein für den Oscar hat es – trotz vierer Nominierungen – nicht ganz gereicht.

Eine Dame von Schnabels Galerie Larry Gagosian räumt ein paar Unterlagen von der Matratze und stellt den Reporter dem Künstler vor. Ein Stuhl steht am Fußende des Bettes bereit.

Das Interview mit Julian Schnabel lesen Sie auf der nächsten Seite.

SZ-Magazin: Herr Schnabel, Ihr Film muss ja hoffnungslos überschätzt sein.
Julian Schnabel: Wenn Sie das so sehen, stimmt das wohl. Aber ich habe seit Monaten ausschließlich Lob gehört. Einen einsamen Nörgler kann ich verkraften.

Keine Sorge, die Bemerkung war scherzhaft gemeint. Ich gehöre zu den Leuten, die Schmetterling und Taucherglocke für ein Meisterwerk halten – wie ja eigentlich alle, die den Film bislang gesehen haben.
Es kostet viel Kraft, wenn man in jedem Restaurant und Supermarkt angesprochen wird: Die Leute erklären, wie gerührt sie waren. Einige behaupten, der Film hätte ihr Leben geändert. Ich bekomme Briefe aus aller Welt von Menschen, deren Verwandte unter dem Locked-In-Syndrom leiden. Ich hätte nie gedacht, dass Zuneigung so anstrengen kann. Vor einigen Tagen kam wieder ein Brief, diesmal von einer Familie aus Italien, deren Sohn einen Motorradunfall hatte.

Klingt in der Tat mühselig für einen Mann, der an ungeteilten Zuspruch nicht gewöhnt ist.
Wie meinen Sie das?

Ihre Malerei hat in den letzten 15 Jahren nicht gerade unbeschränkte Begeisterung ausgelöst.
Mein Lieber, da sind Sie vollkommen falsch informiert. Sie können an jede Kunsthochschule der Welt gehen und viele Studenten finden, die mich für den größten Maler aller Zeiten halten. Sehen Sie das Gemälde dort hinter Ihnen (eine gewaltige, farbenfrohe, abstrakte Leinwand)? Das wird in hundert Jahren in einem Museum hängen als ein wichtiges Beispiel der Malerei unserer Zeit.

Aber wie Sie 1987 bei Ihrer Retrospektive im Whitney Museum, auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere, von der Kritik abgeschlachtet worden sind, war kein Vergnügen?
Schlechte Kritiken bedeuten nicht automatisch, dass man schlechte Bilder gemalt hat.

Sie sehen sich als Chefmaler Ihrer Epoche?
Allein im letzten Jahr hatte ich vier große Ausstellungen in Europa und Asien. Seit dreißig Jahren kaufen Museen und Sammler meine Arbeiten – die werden sich schon was dabei denken.

Es gibt Künstler, die stehen ihrem eigenen Werk skeptisch und voller Selbstzweifel gegenüber. Zu denen gehören Sie nicht?
Nein.

Aber Sie sind auch berühmt dafür, ein großzügiger Lehrer zu sein, und Kollegen, die Sie schätzen, öffentlich zu loben.
Selbstverständlich. Ihr Landsmann Neo Rauch zum Beispiel: ein fantastischer Maler.

Unten im Atelier stehen ein paar Dutzend frische Bilder – sind Sie nach den Dreharbeiten direkt zum Malen übergegangen?
Im Hauptberuf bin ich Maler und alle paar Jahre drehe ich einen Film. Sie müssen sich das vorstellen wie bei einem Maisbauern, der alle paar Jahre Weizen anbaut, damit sein Acker gesund bleibt.

Was kann ein Film leisten, was ein Gemälde nicht schafft?
Filme sind für die Zuschauer einfacher zu erschließen, und man erreicht mit dem Medium eine größere Zahl von Menschen. Die Malerei verschlüsselt die Botschaften – oder hat gar keine, wenn wir uns etwa abstrakte Bilder anschauen. Das Gegenteil ist im Film der Fall: Man muss dramaturgischen Regeln folgen und ein paar Gags einbauen, damit die Leute nicht einschlafen im Kino.

Sie haben es geschafft, sogar in Schmetterling und Taucherglocke einige ausgesprochen lustige Momente einzubauen.
Bauby entwickelte einen großartigen Sinn für Humor, als er im Bett lag und die hübschen Schwestern seinen leblosen Körper pflegten. Mit seinem Augenlid diktierte er unanständige Witze und flirtete mit den Damen. Als Chefredakteur und Prominenter der Pariser Gesellschaft genoss er nie diese Gedankenfreiheit, die er sich nach seinem Schlaganfall langsam erarbeitete.

Er soll ein typischer französischer Gockel gewesen sein: arrogant und selbstverliebt.
Ich habe Bauby nur einmal Anfang der Neunzigerjahre zwei Minuten lang bei einem Stierkampf in Avignon gesehen. Wir wurden einander nicht mal vorgestellt, aber irgendwie blieb mir seine Erscheinung im Gedächtnis. Ich kann beim besten Willen nicht beurteilen, was für ein Typ er vor dem Unglück war. Ich denke, er empfand sein Leben in der Modewelt im Rückblick als stumpfsinnig.

In jedem Interview bezeichnen Sie die Arbeit an Schmetterling … als Selbsttherapie.
Weil ich meine Angst vor dem Tod besiegt habe. Seit ich meinen Vater ein Jahr lang betreute, bevor er 2004 starb, hatte ich mich in diese Furcht hineingesteigert, bis sie zu einem Problem wurde. Ich kenne viele Künstler, die zu viel über den Tod nachdenken. Ich konnte mich ein Jahr lang damit beschäftigen, wie dieser Franzose seine Ängste überwand. Einige Tage nach der Veröffentlichung seines Buches 1996 schlief Bauby friedlich und glücklich ein. Eine Geschichte, die mich beruhigt.

Gegenüber der Produktionsfirma setzten Sie durch, dass Sie den Film auf Französisch drehen durften. Deshalb mussten Sie selbst die Sprache lernen.
Ich wollte Baubys Ärzte, Schwestern, Psychologen als Darsteller benutzen und in dem Krankenhaus in der Normandie drehen, wo er tatsächlich gelegen hatte. Da blieb mir nichts anderes übrig, als die Sprache zu lernen.

Wie kommt der Film bei denen an, die professionell mit Locked-In-Patienten arbeiten?
In Europa zeigen Kliniken den Film bereits ihren Patienten, und auch hier in Amerika haben wir einige Anfragen. Man kann sagen: Der Film ist sehr beliebt bei Experten, weil sich bislang niemand mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Selbst Wissenschaftler verstehen nicht endgültig, was in den Gehirnen dieser Patienten vorgeht. Aber einige Ärzte sagen, unsere Arbeit habe sie beeindruckt.

Woher nehmen Sie als New Yorker Malerstar und Szenevogel die Weisheit, ein unverfilmbares Buch mit einem äußerst schwierigen Thema in einen so mitreißenden Film zu verarbeiten?
Nur weil ich in New York als Maler arbeite und manchmal auf Partys zu
sehen bin, heißt das nicht, dass ich kein Mitgefühl mit einem Mann wie Bauby empfinden kann. Die Arbeit am Drehbuch fiel erstaunlich leicht – irgendwie schien alles so klar. Das Skript war zunächst auf Englisch verfasst und wir mussten es übersetzen. Aber natürlich improvisierten wir auch viel.

Ihr erster Film Basquiat handelte von Ihrem Malerfreund Jean-Michel Basquiat, der mit 27 starb. In Before Night Falls erzählen Sie die Geschichte des kubanischen Dichters Reinaldo Arenas, der nur 47 wurde. Was fasziniert Sie an Künstlern, die zu früh sterben?
Ich denke, das hängt mit meinem Verhältnis zum Tod zusammen. Alle drei Figuren haben gemein, dass sie zwar früh von uns gingen, aber in der kurzen Zeit, die sie mit uns verbrachten, auf unterschiedliche Weise Erfüllung gefunden haben – und zwar nachdem sie ihre inneren Dämonen überwunden hatten.

Ein Wort zum Hauptdarsteller Mathieu Amalric?
Ich halte den Kerl für ein Genie. Ohne ihn würden wir jetzt nicht hier sitzen.

Zunächst sollte Ihr Kumpel Johnny Depp die Hauptrolle übernehmen.
Aber der war verhindert wegen dieses Musicals, in dem er einen Serienkiller spielt. So fiel die Wahl auf Mathieu, und wir alle müssen ihm dankbar sein für die Arbeit, die er geleistet hat.

Genießen Sie die Teamarbeit beim Film?
Oh ja, ich arbeite gern mit einer Mannschaft zusammen. Aber auch meine Kunst stelle ich nicht in Einsamkeit her. Hier im Haus sind stets ein paar Mitarbeiter anwesend, die mich unterstützen. Sie entwerfen Modelle für Skulpturen, Lampen, Möbel, oder sie helfen, Bilder zu produzieren.

So viele große Leinwände kann ja kein Mensch eigenhändig vollmalen?
Genau.

Inwiefern gewinnt Ihre Malerei durch die Erfahrungen beim Film?
Meine Malerei gewinnt durch alle Erfahrungen, die ich mache. Auch durchs Zeitunglesen oder durch dieses Gespräch hier.

Ihre neuen Bilder zeigen riesenhaft vergrößerte Röntgenaufnahmen, darauf dunkle Farbklekse. Eine Reminiszenz an die Zeit im Krankenhaus?
Die Aufnahmen habe ich tatsächlich aus dem Hospital in der Normandie mitgenommen.

Also bleiben Tod und Krankheit zentrale Themen Ihrer Arbeit?
Es geht eher um den ästhetischen Aspekt der Bilder; mit ihren Grautönen sehen sie sehr schön aus.

Auf diese Weise befruchtet Ihr Erfolg als Filmemacher doch noch Ihre Karriere als Maler.
Meine Karriere als Maler muss nicht mehr befruchtet werden.

»Schmetterling und Taucherglocke« startet am 27. März in den deutschen Kinos.