SZ-Magazin: Frau Professor Kerscher, wie viel Geld wären Sie bereit, für eine Creme zu zahlen? Zwanzig Euro für eine Vichy-Creme aus der Apotheke, hundert Euro für die Crème de La Mer oder gleich 950 für die Re-Nutriv Re-Creation Creme von Estée Lauder?
Kerscher: Schwer zu sagen, es kommt auf die Wirkstoffe an. Auf dem Markt gibt es günstige Produkte für zehn oder zwanzig Euro, die gute und wissenschaftlich dokumentierte Wirkstoffe enthalten. Und es gibt natürlich auch teurere Produkte mit gut erforschten Wirkstoffen. Manche Stoffe müssen sehr aufwendig gewonnen werden, so dass wenige Gramm durchaus tausend Euro und mehr kosten können. Bestimmte Wirkstoffe wird man deswegen eher in teureren Produkten finden. Insofern kann ein Preis von hundert Euro oder mehr für eine Creme schon gerechtfertigt sein.
Was die Herstellung angeht, vielleicht. Aber wie steht es mit der Wirkung?
Vor einigen Jahren verglichen wir ein günstiges Produkt im Drogeriemarkt und ein sehr teures Produkt aus der Parfümerie. Beide Produkte stammten vom gleichen Konzern und enthielten denselben Wirkstoff. Wir füllten die Cremes in neutrale Behälter um und baten unsere Probandinnen, Produkt A auf die eine Gesichtshälfte aufzutragen und Produkt B auf die andere. Am Ende des mehrwöchigen Versuchs nahmen wir umfangreiche Hautmessungen vor und fragten unsere Probandinnen, welches Produkt sie bevorzugen würden. Und?
Obwohl unsere Untersuchungen vergleichbare Effekte auf der Haut belegten, entschieden sich mehr als 90 Prozent der Probandinnen für das teurere Produkt, von dem sie aber nicht wussten, dass es teurer war. Sie gaben an, dieses Produkt sei in Anwendung und Geruch angenehmer gewesen. Auch die Wirksamkeit schätzten unsere Probandinnen höher ein. Das hat uns sehr überrascht.
Kann es sein, dass dieser Versuch vor allem mit Frauen funktioniert?
Warum? Wir haben einen großen Pool männlicher Probanden, auch die haben ihre Vorlieben. Um nur ein extremes Beispiel zu nennen: Eine süßliche, rosa gefärbte Creme würden Männer eher nicht kaufen.
Kosmetik ist also zu 50 Prozent Psychologie?
So genau lässt sich das nicht beziffern, aber zweifellos spielt die Psyche eine große Rolle. In Hirnstrommessungen kann man feststellen, dass die Anwendung einer Creme positive Empfindungen auslösen kann. Die Reaktion ist auch plausibel: Man tut sich etwas Gutes und erzeugt so positive Gefühle. Die wiederum lassen die Haut erstrahlen. Umgekehrt sind auch objektiv gute Produkte mit einer wissenschaftlich belegten positiven Wirkung nicht zu empfehlen, wenn sie der Patient – möglicherweise völlig unbegründet – ablehnt.
Was sind Ihrer Meinung nach objektiv gute Wirkstoffe?
Vor allem Vitamin A und Vitamin C hat man hervorragend untersucht, mit beeindruckenden Ergebnissen. Wenn die Haut altert oder regelmäßig Zigarettenrauch und Sonnenlicht ausgesetzt ist, bilden sich dort bestimmte Enzyme. Diese sogenannten Kollagenasen bauen das Kollagen ab, das die Haut straff hält. Wenn man etwa Vitamin C über einen bestimmten Zeitraum auf die Haut aufträgt, wird weniger Kollagenase produziert und damit weniger Kollagen abgebaut.
Wirkt das häufig in Kosmetikprodukten verwendete Vitamin E ähnlich?
Auch Vitamin E ist ein Antioxidans. Das sind Stoffe, die freie Radikale in der Haut vermindern. Insofern ist Vitamin E wertvoll, weil freie Radikale die Hautalterung beschleunigen. Allerdings gibt es – anders als bei Vitamin C – kaum Untersuchungen unabhängiger Forscher zur äußerlichen Anwendung von Vitamin E.
Wer untersucht eigentlich all die Wirkstoffe, die heute in den Cremes stecken: das Q 10 in den Nivea-Produkten, die Seide in der Kanebo-Creme, den Kaviar in der La-Prairie-Lotion, die Alge im Tiegel von La Mer?
Die großen Hersteller leisten sich ganze Abteilungen, die zunächst Hunderte von Stoffen auf ihre Wirkung untersuchen und dann auch die Endprodukte aufwendig testen. Des Weiteren gibt es auch Studien unabhängiger Forscher, die Wirkstoffe untersuchen. Manchmal werden Wirkstoffe auch zufällig entdeckt. In der Medizin zum Beispiel finden sich immer wieder Substanzen, die helfen, Wunden besser heilen zu lassen, etwa bei offenen Beinen oder Geschwüren. Solche Stoffe sind natürlich auch für die Kosmetik interessant.
Eine der großen Verheißungen der Konzerne ist die Beseitigung von Falten. Wunsch oder Wirklichkeit?
Durchaus Wirklichkeit, wenn damit kleinere Falten gemeint sind. Es gibt sogar Produkte mit Sofortwirkung auf Fältchen. Sie enthalten meist Pigmente, die Falten zwar nicht auffüllen, dafür aber das Licht so reflektieren, dass kleinere Falten deutlich gemindert erscheinen.
Aber spätestens bei der nächsten Gesichtswäsche müsste sich doch zeigen, dass es sich nur um eine optische Täuschung handelt.
Richtig – und falsch. Die Produkte enthalten neben den Pigmenten auch Kombinationen von Inhaltsstoffen, die ihre Wirkung erst nach einiger Zeit entfalten. Daran ändert auch die Gesichtsreinigung nichts, denn diese Stoffe wirken in der Haut und nicht an ihrer Oberfläche.
Die Zeitschrift Ökotest monierte, die im Markt befindlichen Antifaltencremes seien wirkungslos.
Wir können bei sogenannten Reliefmessungen sehr klar erkennen, dass bestimmte Produkte Faltentiefen signifikant vermindern. Deshalb kann ich dieser Aussage nicht zustimmen. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es zum Beispiel keinen Zweifel daran, dass sich kleinere Fältchen, etwa um die Augen, mit guten Wirkstoffen nach sechs bis acht Wochen glätten lassen. Wenn man die Creme absetzt, können die Falten allerdings nach einiger Zeit zurückkehren. Was tiefe Falten angeht wie die Nasolabialfalten: Die können wir derzeit noch nicht wegcremen.
Hängt die Wirkung der Cremes nicht sehr stark vom Einzelfall ab? Manche Menschen werfen ihre Stirn bei jeder Kleinigkeit in Falten.
Wer eine ausgeprägte Mimik hat, muss über kurz oder lang mit Mimikfalten leben. Cremes können diese Entwicklung natürlich nicht aufhalten.
Geht es nur um Optik oder gibt es auch irgendeinen medizinischen Grund, Falten zu bekämpfen?
Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Gesundheit nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheiten gekennzeichnet, sondern beschreibt einen Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Das umfasst natürlich auch, dass man sich in seiner Haut wohl fühlt. Da eine strahlende und faltenfreie Haut als Schönheitsideal gilt, dient die Pflege der Haut und die Minderung von Falten sehr wohl dazu, dass ein Mensch gesund bleibt.
Von der Psyche einmal abgesehen – was spricht dafür, die Haut regelmäßig einzucremen?
Eine wesentliche Funktion der Creme besteht darin, die Barriere der Haut zu stabilisieren. Die Haut ist schließlich zahlreichen Belastungen ausgesetzt: Sonne, Zigarettenrauch oder Umweltgase. Bleibt die Barriere intakt, ist man obendrein weniger empfänglich für Infektionen über die Haut.
Mit der Gesundheit scheint das so eine Sache zu sein: Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit warnte kürzlich, jeder fünfte Kosmetikartikel enthalte Krebs erregende Nitrosamine.
Auch Pommes frites oder Kartoffelchips enthalten Nitrosamine. Es kommt auf die Dosis an, und die ist in Kosmetika, wenn sie überhaupt Nitrosamine enthalten, verschwindend gering. Gerade was die Dosis anbelangt, übertreiben manche Berichte und setzen Kosmetika so in ein falsches Licht.
Würden Sie die Hand dafür ins Feuer legen, dass sich in Deutschland keine offensichtlich schädlichen Mittel auf dem Markt finden?
Aufgrund der geringen Konzentrationen, etwa von Nitrosaminen, sehe ich keine Gefahr, was die Anwendung von Kosmetika angeht. Unsere bisherigen Untersuchungen rechtfertigen jedenfalls nicht die Aussage, Hautpflege sei gesundheitsgefährdend.
Gibt es generell Inhaltsstoffe in Kosmetika, bei denen Sie zur Vorsicht raten würden?
Ja, aber nur in Bezug auf vorhandene Allergien oder bei sehr empfindlicher Haut. Duft- und Konservierungsstoffe zum Beispiel haben ein hohes Allergiepotenzial. Aus diesem Grund versuchen die Hersteller auch, mit möglichst geringen Konzentrationen auszukommen.
Eine wachsende Kundschaft wendet sich der Naturkosmetik zu. Kann man sagen: Je natürlicher, desto besser?
Nein. Es gibt auch bei Naturkosmetik große Unterschiede. Eine Rolle spielt beispielsweise die Zucht und Pflege der Pflanze: Sie kann unter Umständen stark mit Schadstoffen belastet sein. Auch lässt sich die Wirkstoffkonzentration bei Pflanzen nur schwer bestimmen, da die Ernte jedes Jahr anders ausfallen kann. Ein weiterer Faktor ist das hohe Allergiepotenzial einiger Naturstoffe wie etwa Teebaumöl.
Immerhin umgeht man mit Naturprodukten die lästigen Konservierungsstoffe.
Das Produkt müsste dann aber immer im Kühlschrank stehen. Und selbst dort sind die Produkte nur wenige Wochen haltbar. Außerdem sollten Cremes ohne Konservierungsstoffe nicht in Tiegeln verkauft werden. Sobald Sie nämlich Ihre Finger in den Tiegel tauchen, ist die Creme nicht mehr keimfrei. Und das Keimmilieu, das sich im Topf ansiedelt, verteilen Sie dann beim Cremen im ganzen Gesicht.
Da gibt es heute ja schon eine Lösung: die Nutriceuticals, Kosmetik in Tablettenform.
Als Ergänzung kann man solche Tabletten auch einnehmen, und das ist durchaus sinnvoll. Sie ersetzen aber nicht das Eincremen, weil die in den Nutriceuticals enthaltenen Wirkstoffe oder Vitamine nicht immer in ausreichender Konzentration in der Haut ankommen.
Oft heißt es doch, die beste Hautpflege sei gesundes Essen. Ein Irrtum?
Natürlich ist gesundes Essen sinnvoll und hält auch die Haut gesund. Gerade Asiatinnen im höheren Alter haben oftmals noch eine sehr schöne Haut. Das liegt vermutlich am Soja, das sie von Kindheit an regelmäßig konsumieren. Man weiß auch, dass grüner Tee, ein Liter am Tag, die Haut weniger lichtempfindlich macht. Am besten erreicht man die Haut jedoch immer noch von außen.
Kann sich die Haut an eine Creme gewöhnen? So dass man nach einer gewissen Zeit die Creme besser wechselt?
Nein. Wenn die Haut gut aussieht und man ein gutes Gefühl hat, dann gibt es keinen Grund, die Creme zu wechseln. Zu beachten ist jedoch, dass man mit zunehmendem Alter und auch je nach Jahreszeit andere Wirkstoffe benötigt, um die Haut optimal zu versorgen.
In den letzten Jahren ist ein gewaltiger Markt für Männerkosmetik entstanden. Sollen die Männer künftig morgens genauso lang im Bad stehen wie die Frauen?
Grundsätzlich sollten auch Männer ihre Haut pflegen, wenngleich mit anderen Produkten. Männer produzieren mehr Androgene, aus diesem Grund arbeiten ihre Talgdrüsen aktiver. Das führt zu einem größeren Fettfilm auf der Haut. In jungen Jahren wird dieser Fettfilm häufig als lästig empfunden. Aber später hilft er immerhin, die Haut länger frisch und geschmeidig zu erhalten.