Seit die Bahn besondere Tickets für Kleingruppen propagiert, ist die Fünf eine Art magische Zahl. Bis zu fünf Personen durften mit, als im Jahr 1995 das Schöne-Wochenende-Ticket erfunden und zum Verkaufsschlager wurde. Fünf ist nach wie vor die maximale Passagierzahl beim Quer-durchs-Land-Ticket und bei den Länder-Tickets, von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern, die zurzeit wieder überall beworben werden.
»Raus aus dem Alltag – rein ins Erlebnis«, lautet der Slogan. Warum aber gerade fünf? In dieser Frage steckt einiger Sprengstoff.
Die offizielle Begründung der Bahn klingt simpel: Man habe sich schlicht an der Zahl der Erwachsenen orientiert, die in ein normales Auto hineinpassen. Das mag sein – aber es fällt doch auf, dass die Zahl Fünf bei demokratischen Entscheidungsprozessen im Freizeitstress sehr hilfreich sein kann: Steigen wir hier aus oder dort? Führt der Weg rechts zurück ins Tal, oder sollten wir doch lieber links gehen? Ignorieren wir diese schwarze Wolkenwand am Horizont, oder kehren wir sofort um? Eine gerade Zahl von Mitentscheidern führt hier schnell zu einem Patt, nichts geht mehr voran, jemand muss Diktator spielen, die Stimmung kippt. Die Fünf dagegen garantiert, dass man jederzeit mit klarer Mehrheit das Falsche tun kann.
Wollte die Bahn also Frieden stiften? Oh nein, keineswegs. Den entscheidenden Hinweis enthält ein aktuelles Werbeplakat, auf dem zwei Männer und drei Frauen, alle eng aneinandergedrückt, in Ausflugslaune im Abteil eines Regionalzugs stehen. Dies könnten, in allen denkbaren Konstellationen – schwul, lesbisch, hetero –, zwei Paare sein. Aber eine oder einer ist hier auf jeden Fall das fünfte Rad am Wagen. Und damit kommen wir der endgültigen Erklärung allmählich auf die Schliche: Mal ein Gruppenticket buchen, das klingt unschuldig genug – in Wahrheit aber wird eine Reise zu fünft Freundschaften, Anziehungskräfte und Liebeskonstellationen testen, geheime Begierden schüren, offene Kampfansagen provozieren. Mit einem Wort: Die Zahl Fünf hält die Dinge in Bewegung.
Wir müssen uns die Produktmanager der Bahn deshalb am Ende wie kleine Götter vorstellen, wie Möchtegern-Shakespeares – oder zumindest wie die Regisseure französischer Sommerfilme. Warum Langeweile erzeugen, wenn man auch Irrungen und Wirrungen inszenieren kann? Warum spießige Pärchenausflüge zu viert propagieren, wenn man mit Verrat, Betrug, Leidenschaft und Amour fou wirklich unvergessliche Erlebnisse schafft? Die stabile Paarbeziehung mag ein Ideal der Familienministerin sein – dem Erlebnishunger des modernen Bahnfahrers aber dient sie nun wirklich nicht.
Tobias Kniebe liebt und empfiehlt die romantische Bahnstrecke Gotteszell–Viechtach (25 km) durch den Bayrischen Wald.
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