Das Unvergleichliche vergleichen

Ist es möglich, den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen?

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch die Geschichte beispielloser Massenverbrechen. Dem Holocaust mit seinen sechs Millionen jüdischen Opfern ist dabei ein einzigartiger Platz einzuräumen – wegen des ideologischrassistisch motivierten, staatlich sanktionierten und aufs Ganze zielenden Vernichtungswillens, der nur in der militärischen Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg seine Grenze fand.

Die Einzigartigkeit eines Verbrechens ergibt sich nicht von selbst, sie resultiert aus dem Vergleich, der sich auf die Motive, die Art der Durchführung und die verheerende Bilanz des Verbrechens beziehen kann. Der Vergleich, seriös durchgeführt, hat nichts mit Gleichsetzung zu tun und steht nicht im Dienst der Aufrechnung, Ablenkung oder Verharmlosung. Die deutsche Vergangenheit wird in komparativer Perspektive nicht gefälliger, selbst wenn sich etwa mit Blick auf die Verbrechen Stalins oder auf den Völkermord an den Armeniern manche Ähnlichkeit ergeben kann. Warnungen vor Vergleichen waren im Historikerstreit der Achtzigerjahre häufig zu hören. Sie waren in erster Linie volkspädagogischen Bedenken gegen eine bequeme »Entsorgung« der NS-Vergangenheit geschuldet, die damals durchaus zu befürchten war. Mittlerweile sind diese Stimmen verstummt. Das liegt vor allem daran, dass die Schatten Hitlers nicht kürzer, sondern mit den Jahren im Gegenteil immer länger geworden sind.

Die Fixierung auf den großen braunen Teufel darf aber weder den Blick auf die vielen kleineren derselben Couleur noch auf den großen roten Teufel Stalin verstellen, dessen Großverbrechen erst in den letzten zehn, zwanzig Jahren in ihrem vollen Umfang bekannt geworden sind. Dass deren zahllose Opfer dadurch verhöhnt würden, versteht sich von selbst. Ebenso liegt es auf der Hand, dass die Gesellschaften, die einst ihre Pakte mit den Teufeln schlossen, sich damit belügen und vielleicht sogar in falscher Sicherheit wiegen würden.

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Dr. Hans Woller, 58, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Zeitgeschichte in München. Er hat unter anderem Neuere Geschichte studiert; zwei seiner Forschungsschwerpunkte sind der Faschismus und der Nationalsozialismus.