Schluss!

Warum es so entsetzlich wehtut, wenn die Liebe zu Ende geht.

Vor zwei Monaten hat Kai mit Anja Schluss gemacht. Seitdem dreht sich in Anjas Leben alles nur noch um – Kai. Oft wacht sie mitten in der Nacht auf und erschrickt, weil niemand neben ihr liegt. Morgens verschüttet sie den Kaffee, weil sie nur an Kai denkt. Ihr Designstudium liegt seit zwei Monaten auf Eis. Sie kann ja keinen klaren Gedanken fassen. Wenn sie einen Satz liest, hat sie den vorigen schon vergessen. »Mein Leben ist komplett aus den Fugen«, sagt die 28-Jährige. Sechs Monate war sie mit Kai zusammen. Er, fünf Jahre älter, Musiker. Aber ein Gentleman. Hat ihr immer in die Jacke geholfen, die Tür aufgehalten. »Gott, ist der süüüß!«, schwärmten Anjas Freundinnen. Irgendwann spürte sie, wie sich Kai von ihr zurückzog. Er ging allein auf Feste, schickte keine SMS mehr, rief nicht mehr an. Warum, weiß Anja bis heute nicht. Eine andere? Kaum. Das hätte Anja mitbekommen. Kai arbeitet tagsüber in einem Café gegenüber ihrer Wohnung, im Kölner Stadtteil Nippes. Das fand sie früher schön. Jetzt hat Anja panische Angst, er könnte plötzlich vor ihr stehen, wenn sie die Haustür öffnet. Was sagt sie dann? Andererseits hofft sie bei jedem Handyklingeln: »Jetzt isser’s!« In diesem Gefühlschaos lebt sie in den Tag hinein, aufgedreht und schlapp zugleich, und wundert sich, dass er ihr nicht aus dem Kopf geht: »Ich habe ja auch schon Leute verlassen – die waren bei mir ziemlich schnell gelöscht.« Warum tut es nur so weh, von einem Menschen verlassen zu werden, den man liebt? Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher hängte vor einiger Zeit Flugblätter an ihrer Universität aus, der New York State University in Stony Brook: »Suche Studenten, die verlassen wurden. Und einfach nicht loslassen können.« Fisher beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Phänomen Liebe. Sie zwängte Dutzende Studenten, die sich selbst als »über beide Ohren verliebt« bezeichneten, in den Kernspintomografen. Die Aufnahmen zeigten: Es sind immer dieselben Regionen und Botenstoffe im Hirn beteiligt, wenn es zwischen zwei Menschen funkt. Als Fisher nun die Hirnbilder ihrer verlassenen Probanden auswertete, entdeckte sie überraschende Parallelen: Das Gehirn verarbeitet Trennungsschmerz in denselben Arealen wie den Liebesrausch. Und setzt dabei dieselben Hormone frei, nämlich Dopamin und Noradrenalin – nur noch mehr davon. Während die Liebe zerbricht, läuft im Gehirn des verlassenen Menschen also dieselbe Maschine wie beim Verliebten, und zwar auf Hochtouren. Mit dem unseligen Effekt, dass der Verlassene genau den Menschen noch mehr vergöttert, der ihm die kalte Schulter zeigt. Kein Wunder, dass Anja an Kai hängt wie nie zuvor. Einen Trost hat Helen Fisher: Ihre Untersuchungen zeigten den Betroffenen, »dass sie wenigstens nicht verrückt sind«. Die Anthropologin vergleicht Liebe sogar mit einer Sucht. Wie Drogenabhängige durchleben Liebende ein Hoch, sind nur auf ihren Partner fixiert und allzu bereit, seine unangenehmen Seiten zu übersehen. Drogensucht spielt sich in denselben Hirnarealen ab wie Liebe und Trennung und wird ebenso vom Botenstoff Dopamin angefeuert. Der verlassene Liebhaber zeigt Symptome eines Junkies auf Entzug: Heulkrämpfe, Angstzustände, Appetit- und Schlaflosigkeit. Dennoch finden die Evolutionsforscher, dass uns der Liebestrieb mehr nützt als schadet: Er spornte unsere Urahnen an, sich auf einen Partner fürs Leben zu konzentrieren. Die Menschen mussten nicht mehr permanent ihre Zeit und Kraft mit Buhlen und Balzen vergeuden wie die meisten anderen Säugetiere, sondern konnten in Ruhe Nachwuchs zeugen und das Überleben des eigenen Clans sichern. Zwar weicht dieses Verhaltensmuster in westlichen Gesellschaften gerade auf. Der Spiegel behauptete kürzlich gar, Männer wie Frauen seien »für die Ehe nicht geschaffen«. Aber für die Trennung sind wir offenbar auch nicht gemacht, sonst würde uns der Prozess wohl leichter fallen. Die Lehrbücher unterscheiden zwei Phasen des Verlassenwerdens: Protest und Resignation. Alle Säugetiere protestieren mehr oder weniger heftig, wenn Beziehungen in die Brüche gehen. Vermisst ein Neugeborenes seine Mutter, fängt es an zu schreien. Forscher vermuten, dass gerade die Gehirnhormone Dopamin und Noradrenalin das Junge in Alarmstimmung versetzen und die volle Konzentration auf ein Ziel lenken: die Mutter wiederzufinden. Dieselben Hormone animieren den verlassenen Liebhaber, mit aller Kraft um den Partner zu kämpfen. Sie rauben ihm allerdings auch den Schlaf, den Appetit und verwandeln sonst stabile Menschen in orientierungslose Wracks. Immerhin: Manchmal wird die Strampelei ja belohnt. Schon diese Aussicht auf Erfolg verdrängt die Angst, sich zu blamieren: mit ellenlangen Briefen, Anrufen im Minutentakt, Spontanbesuchen in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des ehemaligen Partners, um ihm noch mal und noch blumiger zu erklären, wie sehr man ihn liebt. Anja hatte sich geschworen, ihrem Kai nicht nachzulaufen. Trotzdem klopfte sie eines Nachts bei ihm ans Fenster, er wohnt im Erdgeschoss. Noch im selben Augenblick war ihr die Aktion peinlich, zu ihrer Erleichterung reagierte Kai nicht. Ein anderes Mal bastelte sie eine Skulptur aus Pappe und schrieb darauf, was ihn und sie verbindet. Dann stellte sie die Skulptur vor seiner Wohnung auf. Das muss er gesehen haben. Inzwischen kocht in Anja öfter die Wut. Sie findet, Kai schulde ihr immer noch eine Erklärung für seinen Rückzug. Nur einmal hat er herumgedruckst, ihr Lebensstil sei ihm zu verrückt. Das wollte Anja dem Musiker Kai nicht so recht abnehmen. Eines Abends kam es doch zur Aussprache. Anja stellte ein Foto von Kai vor sich auf und begann, auf ihn einzureden. Als es ihr zu dumm wurde, dass er immerzu schwieg, zerriss sie sein Bild, warf es in den Müll und fühlte sich besser. Anja geht in letzter Zeit auch regelmäßig schwimmen. Bei jedem Zug denkt sie, »dass ich ihm eine reinhaue«. Sie taucht ab und fängt unter Wasser an zu schreien, »es gibt ja sonst keinen Ort, wo man das tun kann«. Lange hält die Erleichterung aber nicht an, denn »sobald man hasst, kommt auch die Liebe wieder durch«. Wie gern würde sie seine Rückenhaare kraulen! Bevor Anja Kai kannte, fand sie Rückenhaare grauenhaft.

Man kann einen Menschen hassen, den man liebt, meint Helen Fisher. »Das Gegenteil von Liebe heißt nicht Hass, sondern Desinteresse.« Sie ist überzeugt, dass die Wut Menschen in einer Situation wie der Anjas aus der Sackgasse rettet. Dauerhaft einen Menschen zu lieben, der von uns nichts mehr wissen will, widerspricht unserem existenziellen Fortpflanzungstrieb. Trotzdem bewertet Fisher die Wut nicht nur als positiv. Schließlich geht jedes dritte Mordopfer in den USA auf das Konto von Ehemännern oder Verlobten, die abgewiesen wurden. Auf Dauer kostet der Protest zu viel Kraft und Nerven. Deshalb stürzt jeder verlassene Liebhaber über kurz oder lang in einen Zustand der Verzweiflung. Die Forscher haben ihn bei Tieren ausführlich studiert: Es gibt herzzerreißende Bilder von kleinen Affen, die erst heulten und schrien, nachdem man sie von ihrer Mutter getrennt hatte, und sich dann im hintersten Winkel ihres Käfigs zu einem kleinen Bündel Elend zusammen- rollten. Wie es scheint, hängt dieses Verhalten wieder mit dem Dopaminspiegel zusammen, der nach erfolglosem Protest rapide sinkt. Forscher in Kalifornien untersuchten mehr als hundert Menschen, die gerade einen Laufpass erhalten hatten. Der Befund: Fast jeder Zweite litt an einer leichten Depression, jeder Zwanzigste sogar an einer mittleren bis schweren. Kürzlich riefen zwei britische Psychologen ihre Kollegen auf, Liebeskummer als Krankheit ernst zu nehmen. Bis in das 18. Jahrhundert sei dies eine gängige Diagnose gewesen, sagt Frank Tallis, Psychologe aus London. »Menschen können an einem gebrochenen Herz sterben«, ergänzt sein Kollege Alex Gardner aus Glasgow. Manche Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass selbst diese Phase des Verlassenwerdens ihren Sinn hat – oder einmal hatte. »Eine Depression oder auch ein Selbstmordversuch sind klare Signale an meine Umwelt: Ich bin am Ende und habe nichts mehr zu verlieren!«, meint Edward Hagen, Anthropologe an der Berliner Humboldt-Universität. Er vermutet, dass sich dieses Verhalten schon vor hunderttausend Jahren entwickelte, als die Menschen noch in Gruppen von zehn oder zwanzig Mitgliedern lebten. Wer in solch kleinen Gemeinschaften vom Partner abserviert wurde, hatte ein existenzielles Problem. Es gab ja nicht tausendfach Ersatz wie heute in den Städten. Deshalb verfielen unsere verzweifelten Vorfahren in Lethargie oder sprangen gleich in den nächsten Fluss, um die anderen Gruppenangehörigen zu zwingen, ihnen zu helfen. Das wirkte, weil die anderen wussten: Der Ausfall eines Mitglieds gefährdet die ganze Gruppe. Bei Urvölkern auf den Pazifischen Inseln, in Afrika oder im Amazonas könne man so ein Verhalten noch heute studieren, sagt Hagen. In unseren modernen Städten natürlich auch, aber dort verfehlt es zunehmend seinen Zweck: Die meisten Menschen reagieren nur mit Desinteresse. Thomas Lewis, Psychologe an der University of California in San Francisco, sieht die Deutungen seiner Kollegen skeptisch. Liebeskummer ist in seinen Augen kein Verhalten, das sich im Verlaufe der Evolution entwickelte, sondern ein Versagen des Systems. Ein Schmerz, so schlimm, dass man alles versucht, um ihn zu vermeiden. Nicht jeder Mechanismus im Körper diene einem bestimmten Zweck, insistiert Lewis. »Welchen Sinn hätte denn ein Magengeschwür? Trauer ist einfach der Preis, den man für die Liebe zahlt, wenn sie endet.« Übrigens zahlt nicht nur der Verlassene, sondern auch der Expartner. Praktiker wie die Eheberaterin Gisela Appelt vom Evangelischen Beratungszentrum in München beobachten ständig, dass »diejenigen, die gehen, einfach nur einen Schritt weiter sind als die Verlassenen. Sie haben die Hilflosigkeit erlebt, aber nun einfach etwas dagegen unternommen.« Sinnvoll oder nicht, fest steht, dass unser Gehirn massiv durcheinander gerät, wenn uns das Schicksal der Trennung trifft. Was kann man tun, um wieder Ordnung zu schaffen? Helen Fisher rät, alles, was an den Geliebten erinnern könnte, in eine Kiste oder gleich in den Müll zu schmeißen. Und ihm sonst aus dem Weg zu gehen. Der geringste Kontakt könnte den verhängnisvollen Liebesapparat im Hirn wieder anwerfen. Sport hilft ebenfalls bei der Trennung, weil er das Selbstvertrauen hebt und den Dopaminspiegel im Gehirn. Zwecklos sind dagegen die wohlgemeinten Ratschläge unserer Freunde und Bekannten. Warum? Das Gehirn besteht aus drei Teilen: Reptilienhirn, limbisches System, Neokortex. Das Reptilienhirn steuert Basisfunktionen wie Herzschlag, Atem oder Schlucken. Gefühle entstehen im limbischen System. Im Neokortex ist in erster Linie der Intellekt zu Hause: Sprache, logisches Denken. Die verschiedenen Teile gehen auf verschiedene Epochen der Evolution zurück. Am ältesten ist das Reptilienhirn, das limbische System als Gefühlszentrum entstand vor hundert Millionen Jahren, der Neokortex und damit das Bewusstsein existieren höchstens seit 100000 Jahren. Und hier beginnt für den US-Psychologen Thomas Lewis das Missverständnis: »Die meisten Menschen sind sich nur ihres verbalen, rationalen Teils im Gehirn bewusst. Sie denken, unser Gehirn müsse Argumenten und der Willenskraft folgen. Tatsächlich aber bedeuten Logik und gute Ideen nichts für zwei unserer drei Gehirnteile. Kein Mensch kann seine Gefühle so einfach kontrollieren wie seine Hand, wenn er nach einer Tasse greift.« Trotzdem sollten wir uns in der Krise unter Menschen begeben, rät Lewis. Die erstaunliche Begründung: Unser Körper reguliert ständig Funktionen wie Herzschlag, Blutdruck, Körpertemperatur und natürlich auch den Hormonhaushalt im Gehirn. Alle Menschen, mit denen wir zusammenleben, übertragen permanent Informationen über ihre Körperfunktionen. Sie beeinflussen so – ohne unser Wissen – auch die Abläufe in unserem Körper. Wie schlecht es uns also auch gehen mag, wenn wir uns mit vertrauten Menschen treffen, die nicht in einem ähnlichen Loch stecken wie wir selbst, wird das über kurz oder lang unseren Dopaminspiegel heben, also auch unsere Laune. Anja braucht diesen Rat nicht. Seit Wochen stürzt sie sich jeden Abend ins Nachtleben. Sie hält es einfach nicht aus, allein zu sein.