Wie lustig ist das Zigeunerleben?

Immer auf Achse, fern von Karrieredenken und Finanzkrise: Funktioniert diese Hippie-Fantasie in Deutschland? Wir haben sieben Menschen gefragt, die unterwegs zu Hause sind.

Hilke Thor Straten, Mosaiklegerin 

Hilke, 35, und ihr Mercedes-Bus: Die Innenwände hat sie mit Glasmosaik beklebt, einen Holzboden verlegt und eine Sonnenschirmhalterung auf dem Dach montiert. Sie sagt, der Bus, mit dem sie nach Norddeutschland, Dänemark oder Finnland reist, sei die Tür zu ihrem Herzen: Wenn Hilke an einer roten Ampel in ihrer Wahlheimat Berlin steht, winken ihr fremde Leute zu; wenn sie selbst gemachte Taschen auf dem Flohmarkt am Mauerpark verkauft, bleiben die Menschen stehen und sprechen sie an. Auf dem Flohmarkt hat sie auch ihre Freundin Krethika Do Canto (auf dem Bild links mit Hilke auf dem Dach des Busses, darunter Krethikas Tochter Raven) kennengelernt. Hilke liebt Indien, oft ist sie dort monatelang mit dem Rucksack unterwegs. Immer wieder begegnet sie dabei Menschen, die sie fragen: »Bist du nicht das Mädchen aus dem Mauerpark, die mit dem bunten Bus?«

Meistgelesen diese Woche:

Die Tanzlehrer

Madeleine D. und Jorga A., Tanzlehrer

Madeleine D. und Jorga A. unterrichten Tango Argentino. Bis vor zehn Jahren hatten sie ein eigenes Studio in Berlin für Tango, Flamenco und Qigong. Als Madeleine ihr erstes Kind erwartete, beschlossen die beiden, nach Südspanien zu gehen. Sie suchten nach einer alternativen Lebensform, um ihren Sohn zu erziehen, nach einem »Ort ohne Bürokratiewahnsinn«, wie sie sagen, an dem sie »in persönlicher Freiheit« leben können. Jorga hatte auf einer früheren Reise ein Hippie-Dorf in Andalusien kennengelernt. Er wusste, dass viele Paare dort hinfahren, um ihre Kinder zu bekommen. Seitdem reisen Jorga und Madeleine mit ihren drei Söhnen (2, 5 und 9 Jahre alt) in einem Wohn-Lkw durch die ganze Welt und geben Tanzkurse. Sie organisieren zum Beispiel die Tanzveranstaltung »Tango am See« in der Nähe von Berlin. Madeleine sagt: »Wir investieren in Musik und Liebe.«

Die Studentin

Lisa Beck, Studentin

Lisa Beck, 22, trägt ihr letztes Paar trockene Socken. Daran ist der Sturm schuld, der am Tag zuvor auf dem Fusion Festival ausbrach. Das Fusion Festival dauert vier Tage und findet jeden Sommer in Mecklenburg-Vorpommern statt. Lisa wollte trotz Sturm nicht aufhören zu tanzen, bis selbst ihre Gummistiefel voller Wasser waren. Danach fuhr sie mit ihrem VW-Bus nach Spanien, in die Sonne. Mit dem ist Lisa jedes Jahr unterwegs, fährt nach Rumänien oder Frankreich, wo ihr vergangenes Jahr übrigens der Keilriemen riss, als sie gerade auf dem Weg zum Supermarkt war. Sie fuhr auf einen Parkplatz, da stand neben ihr zufällig ein Typ mit deutschem Kennzeichen. Gemeinsam bekamen sie den Bus zum Laufen, und Lisa fuhr ihrem neuen Bekannten gleich hinterher. Der kannte einen anderen Typen, der in der Nähe VW-Busse und Surfboards verlieh. Lisa durfte umsonst ein Board leihen, außerdem zeigte ihr der neue Bekannte die Umgebung. Lisa ist auf Reisen gern spontan: Nichts planen, wird schon alles irgendwie gut gehen.

Der Schauspieler

Vicenç Gomila, Schauspieler

Vicenç Gomila ist 13 Jahre alt und beinah sein ganzes Leben unterwegs. Seine Familie stammt aus Mallorca, die Eltern haben dort ein Tanztheater. Sie arbeiten als Regisseure, Schauspieler und Lichtkünstler. Mallorca ist immer wieder Anlaufstelle, der Ort, an dem sich die Familie sammelt und neue Projekte plant. Die Eltern treten in der ganzen Welt auf, und Vicenç ist meistens mit von der Partie. Deshalb fehlt er oft in der Schule. Sein Vater bittet die Lehrer, während dieser Zeit die Hausaufgaben per Mail zu schicken, damit sein Sohn unterwegs lernen kann. Vicenç sagt, er wolle später einmal Maler oder Musiker werden. Er kann ein bisschen Schlagzeug spielen, hat aber nur selten Gelegenheit zu üben. Dafür sieht er häufig Livebands, wenn er mit seinen Eltern zu irgendwelchen Festivals reist. Demnächst bekommt Vicenç einen Bruder. Er wird dann seinen Vater nicht mehr so oft wie bisher begleiten: Ein Mann muss schließlich auf die Mutter und das Baby aufpassen.

Der Messebauer

Aki L., Messebauer

Als Anfang der Neunziger die Technowelle losbricht, organisiert Aki, 44, Goa- und Trance-Festivals bei Köln. Eine Zeit lang läuft das Geschäft ganz gut, doch dann bleiben drei Jahre hintereinander die Besucher aus, weil es jeweils in Strömen regnet, und Aki häuft mehrere tausend Euro Schulden an. Sieben Jahre lang muss er abbezahlen, zu dieser Zeit lebt er schon im Wohnbus. Er arbeitet als Grafikdesigner in der Werbebranche – was er heute nicht mehr tun würde, weil er das Gefühl hat, den Menschen etwas vorzugaukeln. »Da verkaufe ich meine Seele«, sagt er. Inzwischen reist er als Messebauer quer durch Europa. Er arbeitet mehrere Wochen am Stück, dann macht er wieder längere Pausen. Aki ist zufrieden mit seinem Leben. Trotzdem überlegt er inzwischen manchmal, ob er immer so viel unterwegs sein will. Vergangenen Winter hatte er einen Bandscheibenvorfall. Danach lag er allein in seinem Bus, konnte sich nicht mehr richtig bewegen und fragte sich zum ersten Mal, was passiert, wenn er alt und krank ist. Eine Antwort hat er noch nicht gefunden.

Die Hebamme

Anja Kasper, Hebamme

Seit Februar reist Anja, 27, mit ihrer Tochter Mouna, 2, und ihrem Freund Lorenz, 27, in einem weißen Mercedes-Bus durch Europa. Nachdem sie Geld geerbt hatten, beschlossen Anja und Lorenz, in den Süden zu fahren. Ihr Haus in der Uckermark gaben sie auf. Das kleine Dorf, in dem sie lebten, war ihnen zu einsam geworden – Mouna war das einzige Kind. In den vergangenen Monaten haben sie viel Zeit auf La Gomera, in Frankreich und Spanien verbracht. »Wir sind oft am Strand gewesen, und Mouna hat viele Kinder kennengelernt«, sagt Anja. Der Alltag im Bus ist aber nicht immer einfach. Wenn beispielsweise kein Waschsalon in der Nähe ist, muss Anja improvisieren. Dann füllt sie einen Eimer mit Wasser, Waschmittel und der dreckigen Wäsche – und verschließt alles mit einem Deckel. In dem alten Mercedes wird der Eimer von allein durchgerüttelt, man muss nur durch die Gegend fahren.

Fotos: Kaina