Florian hat ein Treffen mit Fatin organisiert und jetzt sitzen wir bei ihm zu Hause in seinem kleinen Zimmer auf einer harten Couch. Verstohlen gucke ich mich um. An der Wand hängen zwei 2Pac- und ein Bob-Marley-Poster. Überall stehen elektronische Geräte herum, die Fatin wahrscheinlich zum Freestylen benutzt. Florian macht den Deal mit ihm klar und Fatin geht noch ein Stück mit uns die Eppendorfer Landstraße in Hamburg entlang. »He, Florian, komm mal her. Ich muss mit dir reden«, sagt Fatin nach ein paar Metern. »Was ist denn los?«, frage ich. »Ich muss Florian nur schnell was sagen.« Die beiden bleiben stehen, reden kurz miteinander. »Was habt ihr denn besprochen?« – »Ach, nichts Wichtiges, mach dir keinen Kopf, Kleiner«, meint Fatin abwehrend, als sie zu mir aufschließen, und verabschiedet sich von uns. Bis Florian und ich bei mir sind, löchere ich ihn so, wie ich meine Mutter immer löchere, wenn ich partout etwas rauskriegen will. »Was wollte Fatin denn? Komm, nun sag schon!« Ich frage so lange, bis Florian irgendwann aufgibt und mit einem breiten Grinsen im Gesicht sagt: »Dass ich mit dir nichts rauchen soll, das ist nicht gut für dich, das hat er dir angesehen.« Solche Dinge find ich echt zum Kotzen: Herabstufungen und Erniedrigungen. Fatin hat es wohl nicht böse gemeint, er wollte mich sogar schützen, doch ich hasse es, wenn man mich mit 14 noch wie ein kleines Kind behandelt. Schlimm genug, dass ich an Alkohol nur mit Tricks komme und im Kino nicht die Filme sehen darf, die ich sehen will. Jetzt muss mich Fatin auch noch behandeln, als wäre nicht Florian, sondern ich der Jüngere. »Wie viel hat er dir gegeben?«, frage ich Florian, als wir zu zweit auf meinem Sofa sitzen. »Genug. Du bekommst aber eh nichts.« – »Ey, Florian! Das kannst du nicht machen und das weißt du auch!« – »Was denn? Ich hab ihm versprochen, dir nichts zu geben.« – »Und warum?« – »Weil du zu jung aussiehst.« – »Fatin hat mich einmal kurz gesehen, und weil er nicht auffliegen will, sagt er dir so eine Scheiße. Komm schon, Digger!« – »Ja, Mann, na gut, aber sag ihm nächstes Mal bloß nichts davon.« Eine halbe Stunde später kommt Jan. »Habt ihr schon geraucht?« – »Ja, Digger. Leider nichts mehr da«, antwortet Florian. »Ihr seid solche Wichser. Wieso habt ihr nicht gewartet, ich hab Monsen doch extra gesagt, ihr sollt…« – »Is ja gut. Alles noch da, Alter.« Markus trifft kurze Zeit später ein. »Bin ich noch rechtzeitig?«, fragt er völlig außer Atem und zwängt sich mit aufs Sofa. Florian beugt sich nach vorne und zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich diesen kleinen, unscheinbaren Plastikbeutel, der randvoll mit einer an Moos erinnernden Masse ist. Florian nimmt ein Stück Papier und knickt es in der Mitte. An den beiden Seiten knickt er es ebenfalls, damit nichts rausfallen kann. Jetzt zerbröselt Florian das Gras in die Papierschale und verlangt nach einer Zigarette, hält sie über sein Feuerzeug und dreht sie hin und her. »Wieso machst du das?«, frage ich ihn. »Man soll die Ziesen vorher toasten, dann geht angeblich das Nikotin raus.« – »Dann toaste mal schön, Digger.« Mit akribischer Genauigkeit rollt Florian einen Filter. Immer wieder pustet er hindurch und verändert die Dicke des Filters so lange, bis er perfekt ist. Wir reden über die Beginner und darüber, dass ihr neuestes Album das einzige wirklich gute deutsche Hip-Hop-Album ist. »Du, Pfeife, ich flutsch dich in ’ner Bong und hab statt deim Bass in ’ner Box lieber Ruhe im Karton«, schallt es aus den Lautsprechern. Florian hat inzwischen den perfektionierten Filter in das Blättchen gelegt und streut die Mischung hinein. Ich werde langsam ungeduldig. »Scheiße, hab ihn verkackt.« – »Was?«, rufen wir alle drei fast gleichzeitig. »Ich muss noch mal ’nen Neuen bauen.« Da macht der Typ einen auf Kifferexperte und kann noch nicht mal ’ne Tüte bauen – so ’nen Mongo. Fasziniert starre ich trotzdem weiter auf Florian, der anfängt, einen neuen Joint zu drehen. »So, Jungs, der Dübel ist fertig.«
»Man wird davon aber nicht abhängig, oder?«, fragt Markus. Ich weiß genau, dass Markus bereits alles Wissenswerte übers Kiffen im Internet gelesen hat, und jetzt tut er mal wieder so, als hätte er keine Ahnung. »Ich meine: keine körperliche Abhängigkeit wie bei Koks oder Heroin, oder? Ich meine, wenn wir jetzt ab und zu einen barzen, enden wir nicht automatisch als Junkies, oder?« – »Natürlich macht das abhängig, was glaubst du, warum die in Jamaika alle so drauf sind?«, antwortet Florian. »Markus will wissen, ob man danach so geflasht ist, dass man alles dafür tun wird, um wieder zu kiffen«, wirft Jan ein. »Jungs, haltet mal alle die Klappe, damit wir uns den wirklich wichtigen Dingen im Leben widmen können: Drugs, Sex and Rock’n’Roll«, sage ich mit möglichst bedeutungsschwangerem Unterton. »Ich hab zwar schon gebarzt, aber Sex würde ich immer noch vor Drugs stellen«, wirft Florian ein. »Schluss mit dem Gelaber, nun gib mal her das Teil und lass es mich anzünden«, sagt Markus. Schon bei unserem ersten Joint verkündet Florian eine der Regeln, die uns unsere gesamte Kifferzeit begleiten werden: Bauer ist Hauer. Derjenige, der den Joint gebaut hat, bestimmt die Anzahl der Züge, die jedem zustehen. Von dieser Regel wird es nie eine Ausnahme geben. Markus, Jan und ich schauen alle wie gebannt auf Florians Mund, wo sich der große, pralle Joint befindet. Für uns hat er in diesem Moment eine enorme Bedeutung, unser gesamtes Glück hängt davon ab. Von dieser harmlos aussehenden Substanz erhoffen wir uns Entspannung und Ablenkung vom quälenden Schulalltag mit all seinen in unseren Augen erniedrigenden Pflichten und Unerfreulichkeiten. Wir werden frei und glücklich sein wie Bob Marley und so inspiriert wie 2Pac oder die Beginner. Womöglich rechnet der eine oder andere von uns auch gar nicht mit alldem, sondern will es nur mal ausprobieren. Ich jedenfalls erwarte viel. Florian zieht lange und kräftig am Joint. Wahrscheinlich will er uns beeindrucken. Als er hustet, muss ich grinsen. »Gib mal gleich weiter«, drängt Markus. »Boahhhh! Ich glaube, das ist der heftigste Joint, an dem ich je gezogen hab, ich hab auch richtig viel reingetan.« – »Und, bist du breit?«, fragt Jan ihn. – »Mann, ich bin ganz schön high, breit sagt man nur, wenn man gealkt hat.« – »Ich finde, man kann sagen, was man will. Wenn ich besoffen bin, bin ich besoffen und nicht breit«, erwidere ich. »Scheiß drauf, Leute, lasst uns die Bude auf den Kopf stellen, wir sind jung und haben hier einen kleinen Beutel voll mit grünen Glücksbringern am Start«, sagt Florian, gibt den Joint an Markus weiter und stößt einen Freudenschrei aus. »Digger, du darfst aber auch nur dreimal ziehen, so wie Florian«, sage ich. »Nein, zweimal, ein Zug geht fürs Anmachen drauf.« Markus zieht, hustet und zieht in schneller Abfolge gleich noch dreimal, während Jan und ich auf ihn einschreien, dass er den Joint weitergeben soll. »Is gut, ich geb ihn euch ja schon. Ihr seid wie die wilden Tiere.« Markus’ Gesichtsausdruck verändert sich schnell, das Gras tut seine Wirkung. Er sieht sofort bekifft aus. Jan raucht schon etwas länger Zigaretten und hustet nicht, während er zieht. »Es ist wirklich ein echt derbe cooles Gefühl«, murmelt Markus mit halb geschlossenen Augen vor sich hin. »Ich dachte immer, dass es beim ersten Mal nicht richtig wirkt, doch es ist echt derbe cool.« – »Ich merk noch nichts«, meint Jan. »Das is vielleicht, weil Markus gehustet hat, dann haut es mehr rein, weil sich die Kapillargefäße öffnen.« – »Ach nee, hört euch den Profikiffer an.« – »Ihr seid euch aber sicher, dass das Zeug nicht…« – »Ach, halt die Fresse«, sagt Jan zu Markus und reicht endlich den Joint an mich weiter. Ich will mir keine Blöße geben und anfangen zu husten, deshalb ziehe ich besonders vorsichtig. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich den Geschmack von brennenden Hanfblüten im Mund. Er ist streng und schwer, aber gleichzeitig interessant und vollkommen neu und anders. Es riecht ein bisschen so wie ein Lagerfeuer, nachdem man Blätter reingeworfen hat. Ich merke, ich vertrage das Zeug ganz gut, und nehme einen zweiten, tieferen Zug. Leider habe ich mich verschätzt und fange heftig an zu husten. »Da hast du aber Glück gehabt, mehr Husten bedeutet mehr Flash. Leider funktioniert das bei mir aber schon nicht mehr«, sagt Florian. »Wisst ihr, Leute, für mich ist das schon Routine. Wenn ich bedenke, wie viele Joints ich schon geraucht habe«, äfft Jan Florian nach. »Ich mein doch nur wegen der Ziesen, musst nicht gleich übertreiben, Jan.«
Ich habe inzwischen meinen dritten und, weil die anderen abgelenkt waren, schnell noch heimlich einen vierten Zug genommen. »Es wird alles größer, Leute, dieses angenehme Gefühl zieht sich von meinen Zehenspitzen bis in meinen Kopf. Merkt ihr das? Das, genau das hat Bob Marley und 2Pac ihre Texte schreiben lassen. Fühlt ihr das? Spürt ihr, was ich spüre?« Die drei sind in meinem Sofa versunken und nehmen nicht gerade viel Anteil an dem, was ich ihnen nahe zu bringen versuche. »Wir wissen genau, was du meinst, Monsen«, murmelt Jan, dabei ist offensichtlich, dass er nicht richtig hingehört hat. Ist mir auch egal. Wir träumen vor uns hin und genießen den Flash. Nach einer Weile richtet Markus sich auf, weil er gelbe Postits auf meinem Tisch entdeckt hat, und fängt an, sie sich überall ins Gesicht zu kleben. Wir alle müssen laut losprusten vor Lachen und ich merke dabei, wie die Anspannung, die sich in den Sommerferien mit meiner Mutter aufgestaut hat, langsam von mir abfällt. Ich lache mich aus der Welt und fühle mich leicht und schwer zugleich. Leicht komme ich mir vor, weil meine Gedanken wie Federn von einem Ort zum anderen fliegen können und ich mich an viele schöne Dinge erinnere, zum Beispiel geile Hip-Hop-Konzerte. Schwer komme ich mir vor, wenn ich auf meinen Körper achte, der mit mir bequem auf dem Sofa sitzt. Mir wird schlagartig bewusst, dass ich mir noch viel mehr vorstellen könnte, die Farben und Orte vor meinem inneren Auge noch viel leuchtender und detailreicher sein könnten. Ich könnte mit offenen Augen träumen und die großartigsten Dinge sehen und erleben, ohne mein Sofa zu verlassen, wenn ich mehr kiffen würde. »Amon, lass mal jetzt eine von den Chinokkensuppen fraatzen.« – »Na, haste ’n Fressflash, du alter Profikiffer?« – »Ja, geht klar. Bleibt einfach hier, ich bring den Scheiß her.« Irgendwer dreht die Musik lauter. Ich erschrecke ein bisschen, als ich aufstehe und merke, wie unsicher mein Gang geworden ist. Der Raum scheint riesiger und riesiger zu werden. Der Eindruck wirkt verstärkt durch die vielen Spiegel, die hier überall hängen. Neben dem Spiegelschrank, in dem das Silber von meiner Großmutter liegt, führt eine Treppe zu einer kleinen Empore, wo meine Mam schläft. Von dort oben kann man auf alle runtergucken. Am Geländer hängen zwei große weiße Engel. Ich setze das Wasser auf und blättere ein bisschen in den Büchern meiner Mutter, die auf der Treppe rumliegen. Plötzlich habe ich das Gefühl, als hätte ich genau diesen Moment mit den Engeln, dem Wasser und der Treppe schon einmal erlebt oder ihn schon einmal genauso geträumt. »Was für ein geiler Flash«, sage ich laut. Ich glaube, mir ist noch nie aufgefallen, wie schön die Spiegel in diesem großen, weißen, hellen Zimmer wirken. Sie erzeugen den berühmten Blick in die Unendlichkeit. Ich schlage ein Gartenbuch auf. Wie cool, dass mir gerade dieser Band in die Hände gefallen ist. Ich entdecke darin das Bild einer zehn Meter hohen Pflanzenskulptur aus Büschen in Form eines Gesichts, aus dessen Mund Wasser spritzt. Die Büsche schillern in psychedelischen Farben. Vor allem die zackigen Haare des Pflanzengesichts leuchten besonders eigenartig, berauschend. Ich starre darauf und fange an zu träumen, stelle mir vor, wie mir das Wasser aus dem Mund des Pflanzenclowns auf den Kopf sprudelt… Klack. Das Wasser für die Suppe hat gekocht. »Hier, Jungs.« Während die anderen noch immer laut und hektisch über deutschen Hip-Hop diskutieren, lehne ich mich zurück und träume weiter. Endlich ist es passiert. Endlich weiß ich, wie es ist, breit zu sein oder, wie Florian sagen würde, stoned. Ich habe es mir ein bisschen extremer, ekstatischer vorgestellt, aber eigentlich bin ich ganz zufrieden, dass es so wirkt, wie es wirkt. Ich bin entspannt und ruhig und dennoch voller Energie und fühle mich mental beweglicher. Ich war lange nicht mehr so glücklich. Mein Kopf ist voller Farben und voller Musik. Es ist die Musik der Freiheit und der Jugend. Und endlich ist es auch meine Musik. Dies wird auf keinen Fall mein letzter Joint gewesen sein. Genau wie Markus und ich ist auch Jan hin und weg. Amon Barth, heute 21 Jahre alt, kiffte in den folgenden fünf Jahren beinahe täglich, bis er »völlig den Bezug zur Realität sowie jegliches Interesse an kreativen Beschäftigungen verlor, beinahe an Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel gestorben wäre« und von seiner Mutter in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde, wo er in vier Wochen lernte, mit dem Kiffen aufzuhören. Seine Biografie »Breit. Mein Leben als Kiffer« ist am 1. Oktober 2005 bei Rowohlt erschienen.