Passiert mir dauernd: Ich stehe am Tresen eines Hotels in der britischen Provinz und bin unruhig, unsicher, nicht zu Hause, sprich: durstig. Also bitte ich den Barmann, der meine allabendliche White-Wine-Spritzer-Bestellung immer super begreift, um einen Apple Spritzer. Der Barmann sieht mich verständnislos an.
Ganz einfach, sage ich: Apfelsaft mit Mineralwasser, gern mit einem Spritzer Zitrone. Der Barmann bietet mir das in Großbritannien gängige, aber nicht sonderlich beliebte und etwas zu süße Mixgetränk Appletiser an. Ich weise noch mal eindringlich auf meine Bestellung hin.
Dann gibt es zwei Varianten, wie die Situation ausgeht: Entweder macht er mir in drei Gottes Namen einen Apple Spritzer, mit hochgezogenen Augenbrauen, weil er nicht weiß, was das für ein Bullshit-Getränk sein soll, oder er sagt, Apfelsaft sei aus, was in allen anderen Bars, außer in deutschen, schon mal passieren kann.
In diesem unglücklichen Fall steuere ich den nächsten Supermarkt an, um naturtrüben Apfelsaft und Mineralwasser auf meinem Hotelzimmer zu bunkern. Denn wenn ich in diesen Gemütszuständen bin, die ich bereits erwähnte, gibt es nichts, was meinen allumfassenden Durst so gut löscht wie Apfelsaft mit Wasser. Das habe ich als Kind gelernt, die Apfelschorle sitzt in den Erinnerungsecken neben dem Sauerampfer, einem Schnittlauchbrot und Zuckererbsen, frisch von der Ranke.
Trinke ich Apfelschorle, fühle ich mich aufgehoben. Sie hat geholfen, als ich mir die Knie aufgeschlagen habe, als ich von Freundinnen geschnitten wurde und als ich gedemütigt von den Tennisplätzen unserer Kleinstadt nach Hause kam, weil ich wieder keinen Ball getroffen hatte, alle anderen aber so richtig süße, tennistalentierte Highschool Girls waren. (Ohne Tennisplatz lief bei uns gar nichts, es war irgendwie eine Tenniszeit an einem Tennisort.) »Ach, komm«, sagte meine Mutter dann immer, »trink erst mal ’ne Apfelschorle.«
Ich sage diesen Satz heute oft zu meinem Sohn, wenn er verschwitzt und müde und von irgendwas gedemütigt aus der Schule kommt. Als er elf Monate alt war, sind wir quasi übergangslos von Muttermilch zu Apfelschorle gewechselt, als Geheimwaffe in ungemütlichen Momenten. Erst mal ’ne Apfelschorle. Dann geht’s auch wieder, dann beruhigt sich diese eher unangenehme Aufregung, die entsteht, wenn man sich verloren fühlt und in die Welt geworfen.
Mag sein, dass meine britischen Kollegen, die neben mir stehen, wenn der Barkeeper großzügig genug war, mir einen Apple Spritzer zu mixen, die beruhigende Wirkung des Getränks spüren. Aber Apfelschorle ist natürlich etwas sehr Deutsches, ich kenne kein anderes Land, in dem die Leute das so leidenschaftlich trinken.
Wenn ich im Ausland wieder meine Apple-Spritzer-Bestellung durchziehe, sehen mich die meisten mit dieser komischen Mischung aus Rührung und Die-Deutsche-hat-sie-doch-nicht-mehr-alle an. Gerade manche Briten habe ich inzwischen aber dazu gebracht, es auch mal zu probieren, sie finden es ganz okay.
Ich erzähle ihnen dann gern, dass wir das in Deutschland alle trinken, und zwar den ganzen Tag, und dass bei uns deshalb alles so gut klappt, zum Beispiel der Zugverkehr. Die Engländer glauben mir nicht und denken, ich will sie über den Tisch ziehen. Die Schotten hingegen mögen die Idee und möchten inzwischen vor allem aus Apfelschorlengründen unbedingt zu Europa gehören.