Was sagt man, wenn man stirbt? Welche Worte hinterlässt man der Welt, wie verabschiedet man sich aus dem Leben? Säuselt man was von Liebe? Oder macht man einen unanständigen Witz, damit die Nachwelt erleichtert von einem »lässigen Abgang« berichten kann?
Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Optionen fallen einem ein, man könnte schließlich auch gar nichts sagen, dann verzapft man wenigstens keinen Blödsinn. Und dann haben wir noch nicht darüber gesprochen, welche Bürde man den Angehörigen auflädt, sollte man die finale Botschaft nicht mehr zu Ende kriegen, weil einen vor dem entscheidenden Verb die Kräfte verlassen: »Sagt meiner Frau, dass ich sie …« – ja, was? Wie sehr letzte Worte einen Sterbenden unter Druck setzen können, zeigt das Beispiel des mexikanischen Freiheitskämpfers Pancho Villa (1878–1923). Laut seriöser Quellen war der zwar sofort tot, nachdem er bei einem Attentat von neun Kugeln getroffen wurde. Ich habe aber auch mal gelesen, er soll noch zu einem Anwesenden gesagt haben: »Lassen Sie es nicht so enden. Sagen Sie, dass ich etwas gesagt hätte.«
Das nenne ich wahrlich Stress, aus sämtlichen Wörtern, die es gibt – im Deutschen sind das zwischen 350.000 und 500.000 –, das perfekte Vermächtnis zu zimmern. Irgendwann wünscht man sich, der Schlag möge einen bitte noch lange nicht, dann aber plötzlich treffen, ohne Warnung, von einer Sekunde auf die andere. Obwohl auch das nicht notwendigerweise funktioniert, weil man ja immer irgendwas zuletzt gesagt oder geschrieben hat, an das sich garantiert irgendein Schlaumeier erinnert.
Man muss geübt sein, um einen »Last Word« genießen zu können
Als gesichert gelten zum Beispiel die letzten Worte von James Dean: »Der muss anhalten. Er wird uns sehen«, soll der gerade mal 24-jährige Schauspieler gesagt haben, bevor er in seinem Porsche Spyder mit einem entgegenkommenden Ford zusammenprallte. Das berichtete damals der deutsche Mechaniker Rolf Wütherich, der den Unfall als Beifahrer schwer verletzt überlebte. Dem walisischen Dichter Dylan Thomas, der auch ein großer walisischer Trinker war, wird folgender Ausspruch zugeschrieben: »Ich hatte 18 volle Whisky. Ich denke, das ist Rekord.« Das Problem: Gesagt hat er es, allerdings sechs Tage vor seinem Tod. Um wahrhaftig letzte Worte handelt es sich also nur, wenn er in den Tagen danach den Mund nicht mehr aufgemacht hat, was unwahrscheinlich ist, weil er noch mehrmals seinen Arzt und einmal seine Stammkneipe aufgesucht haben soll.
Heute ist die Gefahr groß, dass Abschiedsworte als Whatsapp in Erinnerung bleiben. Man schreibt ja unentwegt welche, in der Hoffnung, möglichst schnell eine zurückzukriegen, damit man sich für drei Sekunden intensiver am Leben fühlen kann: »Gleich da!«, »5 min late!«, »Auch so geil?« Vielleicht müssen wir anerkennen, dass es Sätze wie diese sind, die unser Leben ganz gut auf den Punkt bringen. In Japan – wo sonst? – haben sie aus der traurigen Angelegenheit eine Kunstform gemacht. Dort schreiben Sterbende sogenannte Todesgedichte, die ältesten stammen aus dem achten Jahrhundert. »Ich möchte sterben / im Frühjahr / unter Kirschblüten / wenn der Frühlingsmond / voll ist«. Oder: »Wohin die Wolken ziehen / dorthin nimm mich mit / Kuckuck«. Während des Zweiten Weltkriegs hinterließen viele Kamikaze-Flieger solche Todesgedichte, die Tradition hält sich bis heute, anscheinend hat sich die Sache bewährt.
Ach ja, Last Word ist der Name eines Cocktails, der zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erfunden wurde. Er besteht zu je gleichen Teilen aus Gin, Limettensaft, Chartreuse Verte und Maraschino. Er schmeckt stark, ein bisschen nach Medizin. Man muss geübt sein, um ihn genießen zu können. Aber irgendwas muss dran sein, wenn er auch hundert Jahre später noch auf Cocktailkarten zu finden ist.