Ein Getränk wie die Vorstadt

Crodino ist eine Mischung aus Wasser, Zucker, Kräutern und Farbstoffen. Eigentlich nichts Besonderes. Aber in einer kleinen Bar in einem Außenbezirk Roms, wo überhaupt nichts passiert, kann einen genau das auf sonderbare Art glücklich machen.

Foto: Erli Grünzweil

Menschen sind ein bisschen bekloppt. Kaum sind sie länger als zwei Wochen im Ausland, fangen sie an, sich wie Einheimische zu verhalten, als ­kämen sie gar nicht aus dem Hunsrück oder dem Bayerischen Wald.

Woher ich das weiß?

Ich war eine Weile in Rom, und es hat keine drei Wochen ­gedauert, bis ich sauer auf die Touristen mit ihren Regenponchos war, weil sie »mein Rom« verschandeln und verstopfen. Selbstverständlich saß ich jeden Morgen in einer Kaffeebar, die bald »meine Kaffeebar« war, trank Espresso und abends Crodino auf Eis, ein bittersüßes Gemisch aus Wasser, Zucker und Kräutern, ohne Alkohol, dafür mit Farbstoffen, wirklich nichts Besonderes, aber halt: Italien.

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Meine Kaffeebar liegt in der Vorstadt, Metrostation Cornelia. Morgens kamen Frauen vom Markt und kauften Rubbellose, abends alte Männer in zu großen Sakkos, dazwischen Teenager, die mit dem Handy in der Hand rumknutschten. Und ich? Saß mittendrin, auf sonderbare Art glücklich, weil nichts, aber auch gar nichts passierte, weil einfach nur friedlich die Zeit verging. Ach, dachte ich, vielleicht könnte man in dieser Stadt doch besser leben, ja auf einmal war ich sicher: Ich gehöre gar nicht nach München, sondern hierher, unter diese Sonne, zwischen diese Menschen, Gott hat ­einen Fehler gemacht, als er mich Deutscher werden ließ, und überhaupt: »Posso avere un Crodino?« – das klappt doch schon ganz gut.

Und dann kam der Tag, an dem ich die Vorstadt verlassen musste. Neue Wohnung, zweihundert Meter hinter dem Petersdom! Todschick, aber auch ein bisschen traurig, so vom Rand direkt ins Herz der Angelegenheit. Ich nahm einen letzten Drink, verabschiedete mich und stand anschließend dreißig Minuten lang mit meinen Koffern vor der Bar auf der Straße, aber kein Taxi weit und breit, weil: Vorstadt. Und dann passierte etwas Bemerkenswertes: Ein junger Mann kam aus »meiner Bar«, sprach mich an, er heiße Stefano, ob er mir helfen könne, ich sähe, nun ja, etwas verzweifelt aus. Ach, ich müsse ins Zentrum? Kein Problem, er wohne ums Eck, habe sowieso nichts zu tun, er wisse doch, wie man sich fühle, so als Fremder. Sein Fiat sei zwar winzig, man müsse mal schauen wegen der Koffer, aber ich solle ihn nur machen lassen, irgendwie kriege man das schon hin. Das, dachte ich, wäre mir in München nicht passiert. So lässig sind wir Deutsche nicht. Und so herzlich, spontan und hilfsbereit auch nicht. Die einen ­hätten keine Zeit, die anderen täten so, als hätten sie keine. Aber in Rom, in »meinem Rom« – ach! – Gemeinschaft, Nächstenliebe, Barmherzigkeit.

Die Fahrt dauerte 25 Minuten. Stefano redete ununterbrochen. Er halte es in dieser Stadt nicht mehr lange aus. Wenn er Geld hätte, er würde sofort verschwinden. Die Ämter, die Handwerker, die ­Bürokratie – ein Chaos. Nachts am Bahnhof müsse man Angst haben, abgestochen zu werden. Überhaupt werde alles schlechter; wo man hinschaue, nur Egoisten, niemand kümmere sich um den anderen, sein Bruder würde ihn auslachen, wenn er wüsste, dass er mich gerade durch die Stadt kutschiere. »Idiot!«, würde er sagen. Natürlich sei Rom eine traumhaft schöne Stadt, die Geschichte, die Kunst, die Kirchen – aber alles Vergangenheit. Die ­Gegenwart sei ziemlich beschissen, und über die Zukunft denke er gar nicht erst nach. Aber: Er wünsche mir natürlich trotzdem eine gute Zeit, ein paar Wochen ließe es sich schon aushalten.

Am Ende wollte ich ihm zwanzig Euro in die Hand drücken, aber er lehnte ab. Ich solle mich nicht lächerlich machen. Er habe das aus Freundlichkeit getan und nicht, um Geld damit zu ver­dienen. Also gaben wir uns die Hand, schauten uns in die Augen, dann fuhr er davon. Es ist wahr: Menschen sind ein bisschen ­bekloppt. In Rom, in München, überall.