Wenn Sie das lesen, haben Sie es geschafft. Durch den ganzen Weihnachtsstress und die »Wir sehen uns nächstes Jahr!«-Witze danach. Wieder eine Runde gedreht, wieder über Los. Klopfen Sie sich mal auf die Schulter! Bereitet Ihnen diese Bewegung Übelkeit, weil Sie nicht mehr zu den Glücklichen (oder Furchtlosen) gehören, die eine Silvesternacht durchfeiern können, ohne physische Schäden zu erleiden (oder diese einfach in Kauf nehmen), reiht sich in die Versprechen der nächsten zwölf Monate vermutlich der Klassiker ein: Nie wieder Alkohol, jaja.
Fast alle wollen den Rausch, niemand will den Kater. Wie man mit dem umgehen soll, darüber gibt es viele Meinungen. Die Chinesen, erzählt mir meine Mutter, trinken einen Schluck Essig am nächsten Morgen. Die Japaner haben ein Getränk erfunden, das man vor dem Gelage trinkt und das angeblich dem Kater vorbeugen soll, »Ukon«, die Kraft der Gelbwurz. Die Kids schwören auf »Elotrans«, ein Durchfallmittel, einige Ältere auf die Kraft des sogenannten Konterbieres.
Ich kenne mich mit Katern nicht gut aus. Ich hatte bisher nur zwei Gemütszustände, die diese Bezeichnung verdienen würden. Der erste war nach meinem 18. Geburtstag. Mein bester Freund, der zwei Tage älter ist, und ich gaben eine Party. Wir hüllten uns in Anzüge und Kleider, und angemessen der noblen Stimmung schenkten mir meine Freunde eine 4,5-Liter-Flasche Wodka. Es gibt ein Foto, wie ich diese Flasche mit Mühe hebe und unter Jubel einige Schlucke trinke. Der Morgen fühlte sich an wie ein Vorbote aufs Erwachsenenleben.
Das zweite Mal war am Anfang meiner Studienzeit. In meiner WG waren alle frisch in Berlin, und da es sich auf WG-Partys besser kennenlernte als in einer verklemmten Runde, während man sich über Putzpläne und WG-Kassen streitet, schmissen wir fast jeden Monat eine. Die Zimmer waren vollgedampft (einer hatte eine Nebelmaschine klargemacht), aus alten Boxen dröhnte Wonderwall, in den Fluren wurde geknutscht. Ich schlief in den Armen einer schönen Australierin ein, die mich erst wegen meiner Angst vor Schlangen auslachte und mir dann Bilder zeigte, was sie manchmal so an Outback-Fauna in ihrem Garten findet. Ich habe selten so gut und voller Schrecken geschlafen.
Am nächsten Tag trafen wir uns im Wohnzimmer und knobelten aus, wer Frühstück für alle zubereiten musste, wozu niemand wirklich in der Lage war. Ein Mitbewohner proklamierte, das einzige Frühstück, das wir jetzt bräuchten, sei ein Konterbier. Ausgerechnet ein Schluck von dem, was den ganzen Schlamassel erst verursacht hat, soll angeblich der Wellenbrecher sein, um, verzeihen Sie mir, nicht selbst brechen zu müssen. Der englische Ausdruck lautet hair of the dog that bit you und klingt wie ein Racheritual von Lord Voldemort an Harry Potter, Blut eines Feindes, mit Gewalt genommen, du wirst deinen Gegner wieder erstarken lassen. Ich nahm ein Bier. Ich überwand mich. Ich flüchtete zur Toilette.
Wissenschaftlich war es wohl gerade so: Mein Alkoholspiegel sank auf null, was gleichzeitig auch die schlimmste Phase ist. Das Konterbier verzögert dieses Tief, mildert es aber nicht. Nun hört bei Alkohol aber kaum jemand auf die Wissenschaft, weshalb sich der Mythos des Konterbieres hartnäckig hält.
Ich habe seitdem keinen Kater mehr gehabt. Ich bin viel besser darin, Katerfrühstück zuzubereiten, wovon jeder, der mit hämmerndem Schädel in meiner Wohnung aufwacht, mehr profitiert als ich. Nudelsuppen, Shakshuka, ich bin auf jede Form der Katervergeltung vorbereitet. Rache ist ein Gericht, das am besten heiß und mit einem pochierten Ei serviert wird.