Die Marketingabteilung der Lufthansa scheint eine aufgeweckte Truppe zu sein: Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle dem berühmten Lufthansa-Cocktail hinterhergetrauert, der in den Fünfziger- und Sechzigerjahren ganz selbstverständlich an Bord serviert wurde, freilich nur in der ersten Klasse, gelegentlich wurde er sogar direkt am Platz mit Sekt aufgegossen – eine Reminiszenz an eine Ära, die gleich in mehrfacher Hinsicht vergangen ist. Kulturell, weil Glamour inzwischen von vielen für reaktionär gehalten wird. Und moralisch, weil Fliegen sowieso das Letzte ist.
Und dann liegt auf einmal dieses Päckchen von der Lufthansa in der Redaktionspost: Man habe wieder einen Signature Drink, den sogenannten Avionic, eine Neuinterpretation des Klassikers von damals, anbei ein Fläschchen zum Probieren, herzlicher Gruß und so weiter. Gemixt wird der 18-prozentige Aperitif auf Eis, mit Tonic. Laut Airline vereint er »saftige Pfirsiche, frische Zitrusnoten, florale, dezente Wildwiesenkräuter mit harmonischer Ringelblume, eine lange Süße mit angenehmer Bitternote und präsenter Säure«. Also habe ich mir neulich einen eingeschenkt, nicht über den Wolken, aber zu Hause auf dem Balkon, tiefstehende Sonne, im Rücken das sanfte Flattern des Ventilators, auf dem Plattenteller ein altes Album von Kate Bush.
Und ja, kann man machen, finde ich. Etwas süß vielleicht, aber das mögen ja viele. Doof nur, auch für die netten Menschen aus der Marketingabteilung, dass ich über das Fliegen so gar nichts Gutes sagen kann, und dabei meine ich nicht mal den CO2-Ausstoß, sondern alles andere. Ich erinnere mich gut, wie stolz ich war, als ich vor zwanzig Jahren endlich kein Praktikum, sondern tatsächlich einen Beruf hatte, mit Geld und so. Auf einmal flog ich für ein Hintergrundgespräch nach Berlin oder für ein Interview nach New York, ich hatte sogar eine Miles-&-More-Karte, und klar flog ich Economy, aber ich kam mir erwachsen, weltgewandt und irgendwie angekommen vor.
Davon ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Inzwischen finde ich Fliegen vor allem lästig und würdelos, eine ästhetische Zumutung: erst die nervige Fahrt zum Flughafen, dann steht man wie ein Rindvieh in einer Schlange, die wie ein überdimensionaler Darm aussieht, wird betatscht, durchleuchtet, eingepfercht. Während des Fluges kann ich meine Beine nicht ausstrecken, der Rücken tut weh, der berühmte Kampf der Ellbogen um die Mittellehne, nach der Landung steht man minutenlang blöd im Gang, alle entriegeln panisch ihre Handys, und ehe man sich’s versieht, hat man eine feuchte Achselhöhle im Gesicht, weil der Typ neben einem so rücksichtslos nach seinem Handgepäck in der oberen Ablage greift. Fliegen – für mich ist das die Definition von Unfreiheit und Fremdbestimmung, und ich steige schon auch in ein Flugzeug, wenn ich nach Rio de Janeiro will, aber Menschen, die von München nach Hannover fliegen, kann ich nicht verstehen, es kommt mir nicht nur prosaisch, es kommt mir absurd vor.
Soll ich Ihnen verraten, wo ich diese Zeilen schreibe? Es ist Freitagabend, ich sitze im ICE-Bordrestaurant, ein Vierertisch für mich allein, darauf ein Weißbier, ein Stück Kuchen, eine Tageszeitung, ein Buch, wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich einen Fluss, gerade in diesem Moment macht er eine Biegung, ein paar Felsen im Wasser, im Hintergrund Weinberge, und ja, die Bahn kommt oft zu spät und manchmal gar nicht, aber das finde ich nicht schlimm, ich hab’s nicht eilig. Und sonderbar, die Bahn hat mir keinen Drink geschickt, nicht mal einen lieben Gruß, und doch wird sie lobend erwähnt. Tja, wenigstens Glück ist immer noch unberechenbar.