Und kaum erreicht diese karottenfarbige Masse meine Zunge, muss ich würgen. Das fängt ja gut an. Dabei soll dieses Produkt doch Übelkeit verhindern. Eigentlich. Die Konsistenz ist gelartig und schmeckt nach übersteuerter Mango. Die erste Fuhre schlucke ich schnell runter, die zweite muss ich erst noch wie den Rest der Zahnpasta aus einem Plastikhalm drücken. Wabbelig-schwer liegt das Zeug auf der Zunge wie eine Nacktschnecke. Gegenwürgen, runter damit. 40 Milligramm, es ist vollbracht.
Ich würde das nicht machen, wenn nicht das Versprechen so groß und wunderbar wäre: Kein Kater! Heute, so verspricht es dieses Produkt, kann ich trinken, was ich will, und werde morgen trotzdem entspannt aufwachen. Rausch, aber keine Folgen.
Wie kann es sein, dass man vierzig werden muss, um zum ersten Mal eine Neuerung auf diesem Feld auszuprobieren? In anderen Adrenalinbereichen gibt es das doch längst, also eine Erfindung, die die unerwünschten Folgen des Spaßes mindert oder gleich ganz verhindert: Kondome etwa, Anschnallgurte, Abnehmspritzen, Tageslimits, Eltern. Nur beim Trinken war man bisher in geradezu steinzeitlicher Logik dem Alkohol ausgeliefert. Was einmal johlend reingebechert wurde, musste am nächsten Tag jaulend bereut werden. Naturgesetz.
Und Besserung auf dem Feld war lange nicht zu erwarten. Wann immer auf großer Bühne von Innovationen geredet wurde, ging es nie um Anti-Kater-Erfindungen. Von wegen technologieoffen. Oft, wenn ich bahnbrechende Errungenschaften im Fernsehen sehe, sei es eine amerikanische Tiefseetauchfahrt, eine chinesische Raumkapsel oder eine intakte deutsche Brücke, denke ich an Dinge, deren Erforschung immer noch ausstehen: wie eben jene Pille, die einen fit und gut gelaunt aufwachen lässt. Etwas, was den nächsten Morgen rettet, wenn man am vorigen Abend zu viel getrunken hat und dem Körper all das erspart, was auch hilft: Pizza, Konter-Joggen mit den ersten zwei Kilometern aus der Hölle, oder mit Süßigkeiten aufs Sofa und hinnehmen, dass man heute absolut gar nichts schafft.
Gut, eine Pille ist es nicht geworden, aber zwei sogenannte Pre-Drinking-Supplements werden in Onlineforen empfohlen: eine Flüssigkeit in kleinen Fläschchen namens ZBiotics aus dem Silicon Valley sowie eine südkoreanische Substanz namens Easy Tomorrow. Ich habe mich für Letztere entschieden, weil die Südkoreaner auf ihrer Internetseite erklärten, dass sie auch eine »invasive Liane« namens Kudzu untermischen, die bei ihnen offenbar als »traditional hangover«-Medizin gilt. Da passte für mich erst mal alles, die Konsistenz kannte ich ja noch nicht.
Beide Produkte, ebenso wie andere Kater-Verhinderer, sollen den Wirkstoff bekämpfen, der neben der Dehydrierung für den Kater verantwortlich ist: Acetaldehyd. Üblicherweise wird dieser Stoff von der Leber abgebaut, die Supplements, so versprechen es die Hersteller, helfen dabei. Die Amerikaner behaupten natürlich, ihre Formel könne es sogar besser als die lahme Leber.
Ich habe mich in leichter Skepsis nicht total betrunken, aber so sehr, dass es am nächsten Tag durchaus einen Durchhänger verursacht: ein Aperol Spritz, zwei Gläser Wein, ein Ramazotti. Nur habe ich das alles an diesem Abend eben auf ein Bett aus Mangocreme und Gelen mit Lianen-Power geschüttet und bin gespannt ins Bett. Weitere Vorkehrungen, die ich an anderen Trinkabenden auch nie treffe, habe ich hier also auch weggelassen: keine Flasche Wasser vor dem Schlafen, keine Aspirin, einfach nur umfallen und das Beste hoffen. Acht Stunden später geht der Wecker, und ich fühle mich genauso verquollen und schwerköpfig wie immer. Wäre ja auch zu schön gewesen.