Die Familie meines Mannes kommt aus Apulien, und ich habe im Laufe der vergangenen 13 Jahre einiges von den Menschen aus dem tiefen Süden gelernt, unter anderem, dass man Espresso nicht mit Wagenladungen geschäumter Milch versaut. Cousine Agata zum Beispiel, eine Frau mit beeindruckenden schwarzen Locken und einer griechischen Nase, trinkt morgens weder Cappuccino noch »einen Espresso, bitte«. Agata trinkt »due caffè, subito«. Als sie mir das erzählte, saßen wir in der Augusthitze unter einem schimmernden Olivenbaum, es war eigentlich alles ganz weich, aber als Agata »subito« sagte, reckte sie das Kinn minimal nach vorn und zog die Augenbrauen hoch, ich zuckte innerlich zusammen. Seitdem muss ich jeden Morgen, wenn ich zu Hause Milch in den Kaffee gieße, für einen Moment an Agata denken. Dann ziehe ich ein bisschen den Kopf ein.
Süditalien ist eine der schönsten, aber auch eine der brutalsten Ecken Europas. Über Jahrtausende kamen Leute von irgendwoher und bestimmten, was Sache war, noch im vorigen Jahrhundert war der Landstrich so arm, dass die Süditaliener »terroni« genannt wurden, »Erdfresser«, die Faschisten schickten ihre Gegner nach Lukanien in die Verbannung, weil sie da schon irgendwie verrecken würden.
Stolze Apulierinnen wie Agata strahlen eine mit Härte durchsetzte Stärke aus. Aber Puglia wäre nicht der lockere Ort, der lange einen schwulen, kommunistischen Regionspräsidenten hatte, wenn nicht auch andere Dinge erlaubt wären.
Als mein Mann und ich uns noch nicht lange kannten, verbrachten wir einen faulen Tag in Bari. Die Stadt hatte jahrzehntelang den Ruf eines mafiaverseuchten Dreckslochs gehabt, bis Nichi Vendola, jener schwule Linke, die Ratten aus der Verwaltung kehrte und Bari die Eleganz einer warmen Stadt an der Adria entfaltete. Mein Mann und ich saßen auf einer Bank am Lungomare und sahen einer alten Dame dabei zu, wie sie ein paar Meter weiter Tintenfische gegen eine Mauer schlug, um sie auf den Kochtopf vorzubereiten. Da fuhr ein grau melierter Herr auf einem silbernen Klapprad vorbei. Seine Haare und sein Verkehrsmittel glitzerten in der Sonne, seine nackten Füße steckten in cremefarbenen Lederschuhen, und sein Anzug hatte diese Farbe, ein spezielles Hellbraun, und mein Mann sagte: »Espressinofarben.«
Ich sah ihn an. »Espressino?«
»Komm mit«, sagte er.
Wir gingen in eine Bar, und er bestellte zwei Espressino. Ich hatte das Wort nie gehört. Ich kenne auch niemanden außer ein paar Apuliern, die es verwenden – es scheint ein geheimer Code zu sein: für gezuckerten caffè in einem kleinen Glas mit einem Schuss warmer, cremiger Milch. Ein Getränk, das einen Tick weicher ist als der klassische In-die-Fresse-caffè-aber-subito. Weil eben auch die härtesten Leute manchmal etwas Weiches brauchen.
Vor Kurzem haben wir Ferien in Cisternino gemacht, einer kleinen, weiß getünchten Stadt auf einem Hügel zwischen Bari und Brindisi. In Cisternino gibt es seit Neuestem diesen Tintenfischbrötchenladen. Die beiden bärtigen Kerle, die den Laden schmeißen, sind die ganze Zeit klatschbreit, während sie Pulpo auf den Grill werfen und ihn dann mit Zitrone, Olivenöl und Salz verziert auf Panini legen. Aus den Lautsprechern dröhnen Jerry Lee Lewis, Tarantella und Velvet Underground.
»Solche Typen werden dieses Land retten«, sagte mein Mann, als wir am etwas zu zähen Tintenfisch kauten. Es ist relativ selten, dass er in Bezug auf Italien noch Hoffnung äußert.
Als wir am nächsten Morgen auf dem Weg zum Markt an dem kleinen Laden vorbeikamen, saßen die Jungs mit dicken Augen auf dem schmalen Gehweg und tranken Espressino.