Trübe Brühe

Wenn man eine Kur macht und immer kränker wird, muss nicht die Medizin schuld sein – manchmal ist auch der Patient doof. Wie im Fall dieses Heilwassers aus Karlsbad.

Foto: Maurizio Di Iorio

In meinem alten Audi liegen Winterjacken und Tennisschläger, jede Menge Flaschen, CDs und Holz für den Kachelofen, alte Strafzettel, alte Zeitungen, alte Kaffeebecher, Euro-Münzen (unter dem Sitz), Säcke mit Katzenstreu, manchmal finde ich einen Strumpf. Es gibt Menschen, die sagen, ich sei unordentlich, andere sitzen gern in meinem Auto, sie finden es gemütlich, das sind meine Freunde. Vor ein paar Tagen entdeckte ich eine Plastikflasche mit einer braunen Flüssigkeit, in der Dreckpartikel trieben, es sah aus wie Brackwasser. Kurz war ich irritiert, dann fiel es mir ein: Ich war in Karlsbad gewesen.

Warum Karlsbad? Weil man in einem Grandhotel aus dem 18. Jahrhundert übernachten kann, ohne in die Miesen zu rutschen. Weil man Serviettenknödel essen und Russen zuschauen kann, wie sie Armbanduhren kaufen, die glitzern wie ein Sternenhimmel und größer sind als Kniescheiben. Außerdem waren Peter der Große, Goethe, Brahms und Marx da. Alle tranken sie das berühmte Heilwasser des Typs Na-HCO3SO4Cl, das in zwölf Quellen aus der Erde sprudelt und gegen Stoffwechselstörungen, Diabetes, Gicht, Übergewicht, Parodontose und etliche andere Leiden helfen soll.

Als ich in Karlsbad ankam, hatte ich keine dieser Krankheiten, dafür Husten, Fieber und Halsweh. Ich legte mich sofort ins Bett. Als ich aufwachte, war es Mitternacht. Ich fühlte mich so mies, dass ich nicht mal daran dachte, das Zimmer zu verlassen, schleppte mich zur Mini-Bar, stopfte Erdnüsse in mich hinein, trank das Orangensaftfläschchen und das Cola-Döschen leer und schlief wieder ein. Der nächste Morgen, dachte ich, würde Linderung bringen, am nächsten Morgen würde ich zu den Quellen pilgern.

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Am nächsten Morgen ging es mir richtig beschissen: Jetzt hatte ich auch noch Schüttelfrost. »Komm«, sagte meine Begleiterin, »wir ziehen uns richtig warm an, mit Mütze und Schal, und probieren es wenigstens. Vielleicht hilft es, man weiß ja nie.« Und weil man ja wirklich nie weiß, marschierte ich mit kaltem Schweiß auf der Stirn zu den Quellen. Ich nahm ein paar Schlucke aus einer 64 Grad heißen Quelle, ein paar aus einer mit 56 Grad und dann noch ein paar aus einer mit 47 Grad. Es schmeckte salzig und ein bisschen, als würde man eine rostige Eisenstange ablecken. Gut, dachte ich. Es ist nun mal Medizin. Aber weil man, wenn man nicht unter Verstopfung leidet, nichts Abführendes zu sich nehmen soll, hatte ich am Abend, ungefähr als die Sportschau losging, ein weiteres Problem.

Von Karlsbad sahen wir nicht mehr viel, nicht mal das Casino, auf das ich mich so gefreut hatte. Wir waren auf der Heimreise, die Sitzheizung am Anschlag, als meine Begleiterin sagte: »Du, jetzt haben wir gar kein Wasser mitgenommen. Für zu Hause.« Ich hätte sie am liebsten aus dem Auto geworfen. Auf der anderen Seite: Ich gehe auf die fünfzig zu, an meinem Körper tut alles weh bis auf die Augen, die Einschläge kommen näher, manchmal treffen sie mich auch.

Wir sind dann nicht zurück nach Karlsbad, sondern weiter nach Marienbad, wo sämtliche Quellen eingefroren oder außer Betrieb waren. Wir suchten, recherchierten, fragten Passanten. Am Ende landeten wir bei einer Art Wasserhahn neben einem Sportplatz. »Ist definitiv eine Quelle«, sagte meine Begleiterin. »Ist sogar auf Google Maps eingezeichnet.« Wir befüllten eine alte Plastikflasche, es sah aus wie ganz normales Wasser. Jetzt ist es braun. Ich weiß nicht, ob das so sein muss, aber ich schaffe es nicht, sie wegzuwerfen, noch immer liegt sie zwischen den Zeitungen und den Holzscheiten und verändert ihre Farbe. Ich glaube, ich behalte sie. Man weiß ja wirklich nie.