Das prägt einen schon sehr: das Essen und Trinken, mit dem man aufgewachsen ist. Ich komme aus Wien, und zu meiner Kindheit gehört es, von der Patentante an einen der Orte ausgeführt zu werden, die etwas mit »k. u. k.« und »Hofzuckerbäcker« im Namen hatten. Dort saß ich dann zwischen Marmortischen, goldenen Lüstern und Silbertabletts voller Mehlspeisen und las ehrfürchtig die Karte, in der all die berühmten Wiener Kaffeespezialitäten aufgelistet waren: »Kleiner Brauner«, »Großer Schwarzer«, »Melange«, »Verlängerter«, »Schalerl Gold«, »Franziskaner«, »Einspänner«, »Fiaker«, »Häferlkaffee«, »Mokka gespritzt«, je nachdem, wie viel Milch der Kaffee enthält, wie stark er zubereitet wird, ob er mit Alkohol kommt oder mit Schlagsahne.
Später las ich über die Kaffeehäuser und all die Literaten und Intellektuellen, die sich dort im Wien des Fin de Siècle getroffen hatten, darüber, wie diese Szene eine ganze Kultur beeinflusst hat. Und natürlich habe ich selbst viele, viele Stunden in Wiener Kaffeehäusern verbracht, sehr viele Zigaretten geraucht und mich gefühlt, als gebe es tatsächlich ein richtiges Leben im falschen, nämlich diese Kaffeehauswelt aus Rauchschwaden, Zeitungen, Suhrkamp-Taschenbüchern und Kunststudenten mit schwarzen Rollis. Gucken Sie sich den Film Before Sunrise an, in dem Julie Delpy und Ethan Hawke einen Tag lang in Wien unterwegs sind, und Sie verstehen, was ich meine. Eine meiner Lieblingsszenen ist, wie sich die beiden im »Café Sperl«, eingezwängt zwischen skurrilen Stammgästen, ihre Liebe gestehen, weil das einfach der richtige Ort dafür ist.
Ich bin vor Corona in Wien ins Kaffeehaus gegangen, und ich werde es nach Corona tun. Es gibt viele Gründe, in Wien ins Kaffeehaus zu gehen. Keiner davon lautet: der Kaffee. Ich gehe so weit zu sagen, dass es wenige scheußlichere Getränke gibt als Kaffee in Wien. Das, was man in Form eines kleinen Braunen, einer Melange oder eines Einspänners bekommt, ist entweder sauer oder bitter oder abgestanden oder alles zugleich. Oder wie es die Wiener Autorin Andrea Maria Dusl nannte: »Bohnenseich«. Das hat viele Ursachen. Um Geld zu sparen, wird oft der günstigste, industriell geröstete Robusta-Kaffee verwendet, den man in Maschinen zubereitet, die nicht fachgerecht gepflegt werden. Ausgerechnet in der Stadt der Kaffeehauskultur wird wenig Wert auf Kaffee gelegt.
Daher erinnere mich gut daran, wie das war, als die erste Filiale von Starbucks nach Wien kam. Plötzlich merkte man, dass Kaffee mehr sein kann als ein bitteres Heißgetränk – etwas, das sorgfältig zubereitet und serviert wird, von Leuten, die keine grantigen Ober sind, sondern als Barista ausgebildet. Dass man in Wien inzwischen guten Kaffee bekommt, dass es kleine Röstereien und edle Kaffeebars gibt – das liegt auch an Starbucks. Ein globaler Konzern war das Beste, was dieser lokalen Tradition passieren konnte.
Wenn ich heute in Wien Lust auf Kaffee habe, gehe ich zu Starbucks oder in eine andere Coffeeshop-Kette. Lese die Karte, in der es genauso viele seltsame Getränkesorten gibt wie in den Kaffeehäusern meiner Kindheit. Nur dass sie jetzt »Flat White«, »Flavored Latte«, »Caramel Macchiato« oder »Mocha Light Frappuccino« heißen und wirklich gut schmecken.