Sonnenaufgang mit Michelle Pfeiffer

Der »Tequila Sunrise« ist eine recht banale Mischung aus Schnaps, Orangensaft und rotem Sirup. Aber er macht viel her – und steht für eine undurchsichtige Melancholie.

Manche Drinks sind einfach schön anzuschauen.

Foto: Erli Grünzweil

Seit ich Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts angefangen habe, mich von einem Mädchen in eine Frau zu verwandeln – ja, ich bin immer noch mittendrin in diesem komplexen Prozess –, möchte ich sein wie Michelle Pfeiffer. Das ist natürlich ein hoffnungsloses Unterfangen, aber man muss auch Ziele haben im Leben. Menschen, die mich kennen, schütteln angesichts meines erklärten Role Models vermutlich den Kopf. Warum nicht ein etwas naheliegenderer Phänotyp? So Richtung Renée Zellweger oder gleich Cindy Lauper für Arme? Also irgendein Look, der zumindest erreichbar ist?

Ich will es erklären: Der Film, in dem ich die Pfeiffer zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, war der elegant-schwüle Thriller Tequlia Sunrise, in dem sie zwischen zwei Freunden steht, einem Gangster und einem Cop, am Ende entscheidet sie sich für den Gangster.

Ich sah vor allem eine Frau mit nicht allzu langen Beinen und eher verstecktem Star-Appeal, die verzweifelt versuchte, aus ihren nicht besonders aufregenden Haaren wenigstens irgendwas zu machen. Und sie trägt komische Klamotten, was in Tequila Sunrise nicht nur an den modisch unglücklichen Achtzigern lag, sondern auch daran, dass Michelle Pfeiffer immer ein kleines bisschen neben dem Mainstream liegt.

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Als Heranwachsende in der BRD Noir konnte ich mit diesem Look sehr viel anfangen. Leider hatte ich nur ein einziges Mal ansatzweise die richtige Konfektionsgröße, nach einer sechswöchigen Salmonellenvergiftung, Ferien in Frankreich gemacht, zu viel Mayonnaise gegessen.

Aber ich verbinde alle Filme, in denen Michelle Pfeiffer auftaucht, mit Tequila Sunrise, und ich sehe eine Ähnlichkeit, wenn nicht gar eine direkte Linie zwischen dem Drink, ihr und mir – eine im Grunde schlichte Mischung aus einer harten Spirituose, banalem Orangensaft und viel zu süßer Grenadine. Aber der Mix macht, mit einem Schirmchen drauf und in gutem Licht, auf jeden Fall was her. Das sich langsam verteilende, dunkle Rot der Grenadine lässt außerdem die Wunden ahnen, die das Leben schlägt und geschlagen hat, und sowohl den Drink als auch Michelle Pfeiffer als auch mich umgibt in stillen ­Momenten, wenn die Kamera erbarmungslos draufhält, eine undurchsichtige Melancholie. Und was kann dieser nicht ganz stromlinienförmige Hollywoodstar bitte für einen Schmerz im Gesicht haben. In Gefährliche Liebschaften, in Die fabelhaften Baker Boys, in Das Russland-Haus, in Frankie & Johnny, als vom Leben gezeichnete Catwoman in Batmans Rückkehr, voll bebender Liebe zu Daniel Day-Lewis in Zeit der Unschuld – da ist überall ein guter Schuss Tequila Sunrise drin. In Dangerous Minds und Tage wie dieser … schlägt dann der harte Stoff voll durch, aus dem wir gebaut sind, eine Kraft, die aus der Not nicht besonders großer Blondinen zwangsläufig entsteht.

Der letzte Film, den ich mit Michelle Pfeiffer im Kino gesehen habe, war Mord im Orient-Express, da darf sie zum ersten Mal so alt aussehen, wie sie ist, für Filmschönheiten ja üblicherweise der Schritt in die Schieflage, in die Abteilung: letzter Akt. Das hat sie mit einer Grazie absolviert, die sonst nur Französinnen draufhaben. In French Exit von 2020, einem der dachschadigsten Filme der letzten Jahre, spielt sie eine hinreißend dachschadene Frau über sechzig, man möchte sofort gemeinsam mit ihr in Flammen aufgehen.

Und so sitze ich jeden Sommer frühmorgens an irgendeinem Flussufer oder Strand und vergebe den Preis für den besten Sonnenaufgang. Dann stelle ich mir vor, dass Michelle Pfeiffer neben mir sitzt und sich in ihrer unnachahmlichen Art eine Paris Opal anzündet, dunkelblau mit goldenem Filter, eventuell eine Erfindung aus Die fabelhaften Baker Boys, dem besten Liebesfilm aller Zeiten. Dazu trinken wir Schnaps mit Saft und Sirup.