Auf die Leichtigkeit!

Als Gastgeber möchte man natürlich alles richtig machen – erst recht, wenn die Gäste aus der Ukraine kommen. Was also sollte man bei einem gemeinsamen Barabend beachten?

Foto: Maurizio Di Iorio

Wenn du Besuch von einem Freund aus einem anderen Land hast, und wenn das Land dieses Freundes auch noch brutal von Russland angegriffen wird, dann stehst du nicht nur als gute Freundin, sondern auch als deutsche Staatsbürgerin verdammt noch mal in der Pflicht, es dem Freund während seines Besuchs so leicht wie nur irgend möglich zu machen. Und den Freund vor jeglicher Unbill zu schützen. Wenn du schon selbst keine Panzer schicken kannst.

Also sind wir auf diesem Literaturdingsempfang in einer Villa, in dem »die Trinklage immer ganz ausgezeichnet ist«, wie der ukrainische Freund zu sagen pflegt. Die Trinklage ist schon seit dem späten Nachmittag ganz ausgezeichnet, und am frühen Abend erwische ich ihn in der Dunkelheit des verwunschenen Gartens der alten Villa dabei, wie er gerade einer Journalistin erklärt, warum Dostojewski ein faschistisches Arschloch war, und ich denke, ach, vielleicht ist es an der Zeit, mal was essen zu gehen. Ich zupfe ihn also am Ärmel und sage: »Komm, wir hauen ab.«

»Gern«, sagt er, und unterbricht seine Dostojewski-Suada, »aber wohin?«
»Ins Bahnhofsviertel«, sage ich. »Bahnhofsviertel sind überall die besten Orte.«
»Ja, Bahnhöfe sind absolut beste Orte.«
»Züge auch.«
»Absolut, Züge sowieso, vielleicht sollten wir einen Zug nach Kopenhagen nehmen.«
»Ja, oder nach Hawaii.«
So funktioniert übrigens himmlische Kommunikation: rein assoziativ, und immer auch ein bisschen aneinander vorbei, damit es spannend bleibt. »Hier«, sage ich, als wir aus dem Taxi steigen, »da vorne links, da ist das beste chinesische Restaurant dieses Bahnhofs­viertels.« »Ich vertraue dir«, sagt der ukrainische Freund.

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So funktioniert übrigens himmlische Kommunikation: rein assoziativ, und immer auch ein bisschen aneinander vorbei, damit es spannend bleibt.

Ich sage irgendwas Assoziatives, das so halb am Thema vorbei ist, vielleicht, dass es überaus freundschaftlich von ihm ist, mir zu vertrauen, nach allem, was außenpolitisch war, dann schielen wir uns durch die Karte und bestellen Unmengen zu essen, zum Essen trinken wir Wein und fühlen uns »absolut leicht«, wie der ukrainische Freund feststellt, während ich feststelle, dass am anderen Ende des besten chinesischen Restaurants winzig kleine Ratten auf den Tischen tanzen. Wobei ich darauf beharre, dass es nur harmlose Mäuse sind. Der ukrainische Freund aber stellt die berechtigte Frage, ob denn Mäuse wirklich nackte Schwänze haben.

Auf jeden Fall müssen wir uns schnell desinfizieren gehen, weil ich doch jegliche Unbill von ihm fernhalten will. »Da vorne rechts«, sage ich, »da ist die beste Bar dieses Bahnhofsviertels.« »Ich vertraue dir«, sagt der ukrainische Freund noch mal, »und wir sollten am besten … (unverständlich) trinken.« »Was sollten wir trinken?« »… (unverständlich).« Ich merke, dass ich heute ­offenbar schon etwas zu viel hinter mir habe, um noch Unbill fernzuhalten, und vertrauen sollte man mir ganz sicher nicht mehr, ich versuche dennoch unser Glück und bestelle irgendwas zwischen ukrainischem Rum und brasilianischem Wodka.

»Was?«, fragt der hochnäsige Barmann, der aussieht wie sein eigener Instagram-Account. Ich wiederhole es, und nach ein paar erfolglosen Wiederholungen versuche ich es, inzwischen ein bisschen disparat, mit: »Tschatscha?« Da erbarmt sich der ukrainische Freund und greift ein und bestellt zwei schöne, dunkle, schottische Single Malt. »Danke«, sage ich, »du hast Unbill von uns ferngehalten.« »Das« sagt er, »war mir eine absolute Leichtigkeit.«