Das Ende vom Wegbier

Ein Ruhepol in der Hand – oder doch nur eine weitere Form der Selbstoptimierung in unserer eiligen Welt? Unsere Autorin geht erstmals zum Kiosk und kauft ein Bier für unterwegs.

Ein Bier to go: In Berlin hat es abends oft den Anschein, als seien diejenigen ohne Wegbier in der Minderheit.

Foto: Maurizio Di Iorio

Letztens habe ich es getan. Ich bin nach dem Büro zum Kiosk gegangen, habe ein Bier gekauft und es öffnen lassen. Ich habe das nicht getan, weil mein Leben so schlimm wäre, dass ich schon am späten Nachmittag unbedingt Alkohol bräuchte. Sondern weil ich dazugehören wollte.

Wer in der Großstadt lebt, kann inzwischen ja kaum einen Schritt tun, ohne auf Menschen mit Alkohol zu treffen. Nicht Bauarbeiter oder Handwerker, die von ihrer Schicht nach Hause fahren – sondern Leute wie ich. In Büroklamotten oder mit dem Laptop in der Tasche, auf dem Weg zum Konzert oder mit den Kindern unterwegs zum Spielplatz. Als ich mit meinem Bier in der Berliner S-Bahn saß, habe ich durchgezählt. Von den zehn Leuten um mich herum hatten sechs eine Bierflasche in der Hand.

Das Wegbier ist ein Accessoire des Alltags geworden, so wie Handys und Schirme. Längst ist es auch ein Symbol für etwas Größeres: dafür, dort zu konsumieren, wo man gerade Lust darauf hat, den öffentlichen Raum für die eigenen Bedürfnisse umzudeuten. Und so nutzt man Straßenecken als Partyzone, was dann »Cornern« heißt, selbst Justin Bieber lief schon mit Bier durch Berlin. Das ist fast überall erlaubt, nur Baden-Württemberg hat, wie ich beim Deutschen Städte- und Gemeindebund erfahre, eine Rechtsgrundlage geschaffen, mit der Kommunen das Trinken auf der Straße verbieten können. Natürlich gilt jeder, der sich gegen Alkohol auf der Straße ausspricht, schnell als Verbotskulturminister. Und so sagte der Chef des Berlin-Tourismus stattdessen einmal, er wolle keine Stadt, »in der man nur mit einer braunen Papiertüte um seine Flasche Bier über die Straße laufen darf«. Der Chef des Berlin-Tourismus findet sogar, das Wegbier gehöre zum »Berliner Lebensgefühl«. Es wird nicht lange dauern, bis jemand vorschlägt, das Wegbier zum Weltkulturerbe zu erklären.

Meistgelesen diese Woche:

Und es hat ja auch was. Es ist schön, an einem Sommerabend in der Stadt herumzulaufen und nicht zu wissen, an welche Brücke oder in welchen Park es einen mit dem Getränk treiben wird. Manchmal gelingt es: Mit einem Bier in der Hand hält man inne. Selbst beim Gehen. Man spaziert, man flaniert.

Trotzdem werde ich, wenn sie mich am Kiosk fragen, ob sie die Bierflasche gleich öffnen sollen, in Zukunft Nein sagen. Denn die meisten haben ohnehin schon ein Leben, in dem man den Kaffee auf dem Weg zur Arbeit im Becher hinunterschüttet und sich mittags zwischen zwei Terminen den Döner auf die Hand geben lässt. Da muss nicht auch noch das Feierabendbier to go sein.

Wir leben in einem Teil der Welt, in dem man fast alle Bedürfnisse sofort befriedigen kann, weil fast alles lieferbar ist, Musik, Filme, das Essen aus dem Restaurant, die Tickets für Mallorca. Doch wo sofort geliefert wird, muss man selbst auch ständig liefern. Man soll flexibel funktionieren, und das ist der Eindruck, den die Wegbier-Trinker auf mich machen: dass Trinken auch nur eine Form von Multitasking ist. Dass die Hand, die jetzt noch entspannt eine Bierflasche hält, im nächsten Moment zum Handy greift und etwas erledigt, einen Status checkt, Mails abarbeitet. Und irgendwann – so spinnt sich das in meinem Kopf weiter – fahren die Menschen mit Wegbier auf dem Elektroroller.

Das geht zu weit. Ich bin dafür, dass man entweder trinkt oder rennt. Man will ja auch einen sitzen haben.