Die Weißweinschorle ist die Farbe Beige unter den Getränken. Ein Drink, auf den sich alle einigen können. Mit Wasser versprudelter Weißwein schmeckt nach etwas, aber nicht zu intensiv, er passt zu allem und geht immer. Genauso langweilig ist er allerdings auch, nichts Halbes und nichts Ganzes. Würde man Weißweinschorle nicht trinken, sondern tragen, wäre sie eine Übergangsjacke.
Doch es gibt eine Zeit, da ist die Weißweinschorle mehr als ein Allerweltsgetränk, da hat sie ihren großen Auftritt. An diesen Tagen Mitte März nämlich, an denen die Luft schon warm ist und man endlich wieder ahnt, dass es noch etwas anderes gibt als Kälte und Winter. Diese Tage, an denen alle ins Freie stürmen und man sich fühlt, als müsste man diese Augenblicke hinunterschlingen, weil man sie sonst nicht festhalten kann.
Das ist die Stunde der Weißweinschorle. Wenn man beschließt, auf seinem seelischen Thermostat den Schalter umzulegen von Heizen auf Kühlen, von Einmummeln auf Ausziehen, von Heißgetränk auf Erfrischung. Ich behaupte jetzt mal, dass nichts so gut schmeckt wie die erste Weißweinschorle des Jahres. Draußen vor dem Café sitzend, bei elf Grad, mit klammen Fingern gehalten. Dann wird dieser beigefarbene Viertelliter, der eigentlich immer nach zu viel Wasser oder zu viel Wein schmeckt, zu einer Ur-Weißweinschorle. Das Glas, das alle Spritz-Getränke vorwegnimmt, die man in diesem Jahr noch trinken wird, und all die Situationen, die sich daraus ergeben könnten. In der Hitze der Stadt oder irgendwo am See, während das Blau des Wassers mit dem des Himmels verschwimmt. An diesen Abenden, an denen man sich fühlt, als hätte man von ihnen noch unendlich viele.
Von Frühlingsgefühlen ist immer die Rede, von einer Zeit des Erwachens. Aber das Intensivste am Frühling ist das Wahrnehmen der ersten Male. Die ersten Krokusse, das erste Frühstück auf dem Balkon, das erste Eis, das erste Mal im Gras liegen, der erste Besuch im Freibad. Jedes erste Mal ein Teil des Countdowns in Richtung Sommer.
Wenn es um den Geschmack von Dingen geht, ist man schnell bei der Wahrnehmung, die sie auslösen. Und bei jener Szene aus dem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, mit der sein Autor Marcel Proust weltberühmt wurde. Da beschreibt der Ich-Erzähler, wie er einen Löffel Tee, auf den er ein Stückchen einer Madeleine gemanscht hat, zum Mund führt und dabei zusammenzuckt. Denn dies ist der Geschmack seiner Kindheit, und plötzlich zieht die gesamte Vergangenheit vor ihm auf. Die Schlucke der ersten Weißweinschorle haben den genau umgekehrten Effekt: Sie lassen einen erahnen, was noch kommen wird. Die Proust’sche Erleuchtung erzählt vom Glück der Nostalgie, die erste Weißweinschorle steht für das noch nicht Dagewesene.
Ich würde gern mal einen Roman lesen über die Dinge, die noch nicht passiert sind, von denen man aber schon ahnt, dass es sie geben wird. Sind sie nicht aufregender, weil die Erfüllung noch aussteht? Sind es nicht die kostbareren, weil sie das Ungewisse in sich tragen, aber auch ein Versprechen? Diese Phasen im Leben, die man Momente der Sehnsucht nennen kann – oder Übergangszeit.