»Ich lebe seit einigen Jahren mit meiner Partnerin und ihrer Tochter zusammen, die im kommenden Jahr 18 wird. Ich bin der Meinung, dass sie spätestens dann alt genug ist, ein Familiengeheimnis zu erfahren, das es in der Familie meiner Partnerin gibt. Die will aber weiterhin dazu schweigen, während ich mich schon länger als lügender Mitwisser unwohl fühle. Die Schwester meiner Partnerin täuschte vor ein paar Jahren ihrer Umgebung und ihrem kleinen Sohn zunächst eine Schwangerschaft mit künstlichem dicken Bauch und später eine Geburt vor. In Wirklichkeit war das Baby von einer Leihmutter in Osteuropa auf die Welt gebracht worden. Die Tochter meiner Partnerin sieht die Kinder ihrer Tante oft und ahnt nichts. Was soll ich tun?« Anonym, per Mail
Verstehe. Sie wissen um eine Lüge und sind durch dieses Wissen derart belastet, dass Sie es möglichst schnell weitergeben wollen, einfach, um es nicht mehr allein bei sich zu haben. Jeder, der schon mal ein Geheimnis erzählt bekam, kann das bestimmt nachvollziehen. Man weiß dann etwas, das man nicht weitererzählen darf, und allein dieser Umstand macht einen ja schon ganz kribbelig. Würde bei Geheimnissen nicht immer dazugesagt, dass sie, bitte, geheim sind, wären es meistens einfach irgendwelche Geschichten, die man genauso schnell wieder vergäße wie alles andere auch. Aber so sind sie mit dieser Magie aufgeladen: Wehe, du erzählst mich weiter. Chapeau, wer da die Nerven bewahrt.
Aber, verehrter Fragesteller: Sie sind ein erwachsener Mann. Sie können das für sich behalten. Und das sollten Sie auch. Was die Schwester Ihrer Partnerin zum Wohl ihrer Kinder entscheidet, haben Sie zu respektieren. Es ändert auch nichts für die Tochter Ihrer Partnerin, ob ihre Tante ihr jüngstes Kind eigenständig aus der Gebärmutter gepresst hat oder dafür die Dienste einer Leihmutter in Anspruch nahm. Und ob Sie diese Praxis gutheißen oder nicht, was hier möglicherweise latent mitschwingt, spielt für die Tochter Ihrer Partnerin und deren Beziehung zu ihrer Tante und deren Kindern überhaupt keine Rolle.
Ich muss Sie deshalb darum bitten, alles an Kontrollmechanismen in sich zu mobilisieren, was Ihnen zur Verfügung steht. Am besten betrachten Sie den Fall einfach damit als erledigt, dass Sie Ihr Wissen nun einem Magazin anvertraut haben. Das Geheimnis ist so gut wie verraten. Sie sind somit von dieser Last befreit und können sich wieder anderen Dingen zuwenden. Vergessen Sie die ganze Geschichte einfach wieder. So interessant oder ungewöhnlich ist sie nun auch nicht.