Geld oder Freundschaft

Die Familie unserer Leserin muss ein Haus verkaufen, um schuldenfrei zu werden. Sollte sie das niedrigere Angebot eines engen Freundes annehmen – oder lieber das des vermögenden Nachbarn, das die Schuldensumme abdeckt?

Illustration: Serge Bloch

»Wir sind ein Ehepaar ohne Kinder im Rentenalter. Mein Mann kommt aus Osteuropa, in seinem Heimatland haben wir vor langer Zeit ein Haus gekauft, das wir oft nutzten. Nach dem Konkurs der Firma meines Mannes stehen wir vor einem Schuldenberg. Schweren Herzens verkaufen wir unser Haus. Wir boten es unseren Nachbarn links und rechts an – zu ­unserer Überraschung wollen es beide. Der eine Nachbar, ve­r­mögend, hat uns ein gutes Angebot gemacht. Wir waren gute Nachbarn, aber nicht eng befreundet. Mit dem anderen Nachbarn sind wir enge Freunde. Seine Tochter möchte das Anwesen kaufen, aber ihr Angebot liegt 70.000 Euro unter dem des ­anderen Nachbarn. Sie hat die Familie abgeklappert, mehr geht nicht. Das Angebot des anderen Nachbarn ist so hoch wie ­unsere Schulden, wir wären damit aus der Misere raus. Wir möchten natürlich gerne das Haus der Tochter geben. Auf der anderen Seite können wir uns das nicht leisten.« Anonym, per Mail

Es wäre etwas anderes, wenn Sie ­finanziell ausgesorgt hätten und Ihr Haus in Osteuropa einfach nur so verkaufen würden. Sagen wir, weil Sie so viele Häuser besitzen, dass Sie mit dem Bewohnen gar nicht mehr hinterherkommen. In diesem Fall hätten Sie es womöglich nur den Nachbarn angeboten, mit denen Sie befreundet sind, und sich gefreut, dass deren Tochter Interesse hat. Denn natürlich wäre es schön, wenn nach Ihnen jemand, den Sie richtig gern haben, Ihr Haus bewohnt. Aber Sie verkaufen ja aus einem ganz bestimmten und sehr schnöden Grund: Sie haben Schulden. Und 70.000 Euro sind ein ganz schöner Batzen, vor allem, wenn man ihn braucht und nicht hat.

Ausgeschlossen, dass Ihre Freunde nicht verstünden, dass Sie hier dem Kaufinteressenten den Vorrang ­geben, der Sie aus Ihrer finanziellen Not­lage befreit. Andersherum würde es doch bedeuten, dass Sie weiter Schulden hätten, während die Tochter Ihrer Nachbarn, so ­bezaubernd sie auch sein mag, in Ihrem ehemaligen Haus wohnt, das Sie am allerliebsten vermutlich niemals verkauft hätten. Sie hätten also nur der Tochter Ihrer Nachbarn zuliebe weiter große finanzielle Sorgen. Das wäre doch etwas sehr viel an Nächsten­liebe, meinen Sie nicht?

Meistgelesen diese Woche:

Aber im Grunde steht in Ihrer Frage ja bereits, wie Sie handeln werden. Sie möchten nur von dem schlechten Gewissen erlöst werden, das Sie, weil Sie so freundlich sind, gerade etwas drückt. Schauen Sie mal, die Tochter Ihrer befreundeten Nachbarn sitzt ja nicht auf der Straße. Sie hätte einfach gerne die Immobilie neben ihren Eltern. Klar, kann man verstehen. Wäre natürlich irre nett. Aber, wie das nun oft so ist bei Immobilien, es übersteigt ihre finanziellen Möglichkeiten. Dafür können Sie nichts. Wären es 7000 Euro, meine Güte. Aber 70.000 Euro ist eine Summe, die auch Freunde verstehen.