Gewinnen um jeden Preis?

Unser Leser nimmt jede Woche an Gewinnspielen teil, obwohl er die Preise gar nicht gebrauchen könnte. Sollte er anderen nicht lieber den Vorrang lassen? Auf keinen Fall, findet unsere Kolumnistin.

Illustration: Serge Bloch

»Ich nehme allwöchentlich mit Leidenschaft an Gewinnspielen teil, doch ein Gewinn war mir bisher nicht vergönnt. Dabei könnte ich die Preise gar nicht wirklich brauchen. Goldene Creolen könnte ich dank Harry Styles mittlerweile auch als Mann tragen – mit einer Motorsäge täte ich mich als Wohnungs­mieter ohne Garten schon schwerer. Und doch habe ich auch da mitgemacht. Denn ich würde mich riesig freuen, wenn ich irgendwann die Nachricht bekomme: ›Sie haben gewonnen!‹ Bin ich ein moralisch verkommener Mensch, der anderen etwas wegnimmt, wenn er an einem Gewinnspiel teilnimmt, obwohl er den Preis nicht wirklich brauchen kann?« Bernhard F., Passau

Sie denken sehr nett an andere und sollten die Sache daher unbedingt auch aus der Sicht der Gewinnspielindustrie sehen. Stellen Sie sich mal vor, jeder, der bei einem Gewinnspiel mitmacht, würde gewinnen. Wo sollten die denn um Himmels willen all die Gewinne hernehmen? Das wäre ja das Ende dieses ganzen Systems. Nein, für jeden, der dabei gewinnt, braucht es ungleich mehr Menschen, die nicht gewinnen.

Und hier kommen Sie ins Spiel, denn die Rolle, die Sie hier so unbeirrt einnehmen, die des Verlierers, ist in diesem Gefüge von geradezu existenzieller Bedeutung. Ohne so rührende Menschen wie Sie, die spielen, ohne jemals irgendeinen noch so kleinen Gewinn einzustreichen, würde sich die Sache mit den Gewinnen für überhaupt niemanden lohnen. Ohne Verlierer gäbe es sehr schnell keine Gewinne mehr, und fänden Sie das denn am Ende gerecht? Dann hätten auch diejenigen keine Chance, etwas zu gewinnen, die den jeweiligen Gewinn gut brauchen könnten, und das wäre doch auch nicht in Ihrem Sinne, wenn ich Sie richtig verstehe. Auch insofern ist es wirklich überhaupt nicht tragisch, dass Sie die Creolen, die Sie erwähnen, nicht gewonnen haben. Zumal kaum davon auszugehen ist, dass sie aus echtem Gold waren. Um die Motorsäge ist es hingegen schon etwas schade, zwar nicht im Sinne der allgemeinen Gerechtigkeit, aber für Sie, finde ich. Die aktuellen politischen Ereignisse bieten durchaus immer wieder mal Anlass, auch in der eigenen oder angemieteten Wohnung das eine oder andere mit Nachdruck und möglichst viel Lärm zu zerlegen. Gut, schade, lässt sich aber jetzt nicht mehr ändern. Auf keinen Fall jedoch sollten Sie aufhören zu spielen! Folgen Sie Ihrer Leidenschaft, anderen einen hübschen Gewinn zu verschaffen, indem Sie verlieren. Viel Glück dabei weiterhin, wem auch immer.