»Ich habe zu meinem Sohn und meiner Schwiegertochter ein gutes Verhältnis. Wann immer ich bei ihnen bin, etwa um auf die Kinder aufzupassen, fällt mir die unaufgeräumte Wohnung auf. Boden und Schränke staubig, Küchenschränke und Fenster verpappt, Schubladen voller Krümel. Einmal habe ich während ihres Urlaubs geputzt, was jedoch anscheinend nicht bemerkt wurde. Am liebsten würde ich es ansprechen, aber wie? Ich möchte es mir nicht mit meiner Familie verderben.« Silvia T., München
Meine Lieblingsstelle in Ihrer Frage ist diese: »was jedoch anscheinend nicht bemerkt wurde«. Am besten daran gefällt mir das Wörtchen »anscheinend«. Was da alles drinsteckt. Ihre ganze gespannte Erwartung, wie die Familie Ihres Sohnes wohl ihrer Freude Ausdruck verleihen würde, wenn sie aus dem Urlaub heimkehrend ihre Wohnung geputzt vorfindet.
Man kann sich so gut in Sie hineinversetzen. Sie haben sich bestimmt viel Mühe gegeben, alles richtig zu machen, als Sie heimlich dort waren. Vielleicht hatten Sie sich Putzsachen mitgebracht. Plastikhandschuhe, einen Feudel (so etwas hat Ihr Sohn bestimmt nicht im Haushalt), eine Palette Abwaschschwämme. Sie sind umsichtig vorgegangen. Das Elternschlafzimmer etwa haben Sie gar nicht betreten (obwohl es Sie schon gejuckt hätte, nach allem, was durch den offen stehenden Türspalt zu sehen war). Dafür haben Sie lange und mit viel Liebe im Kinderzimmer all die Spielsachen eingesammelt und in den Schrank geräumt. Als schließlich Küche und Bad glänzten und alles vollbracht war, sind Sie mit dem Gefühl fortgegangen, etwas Gutes getan zu haben. Sie haben keine Dankbarkeit erwartet, Sie haben es ja freiwillig getan, aber ein bisschen Dankbarkeit haben Sie doch erwartet, wie Ihnen bewusst wurde, als diese so völlig ausblieb.
Dabei, lassen Sie uns ehrlich sein, ist auszuschließen, dass Ihre Tat unbemerkt blieb. Niemand kommt in seine Wohnung zurück und wundert sich nicht, wenn plötzlich alles aufgeräumt ist. Wir müssen also die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das Ausbleiben jeglicher Reaktion Höflichkeit war. Mein Rat wäre, dass Sie das Thema ruhig mal mit Ihrem Sohn ansprechen können (wofür hat man schließlich eine Mutter), aber erwarten Sie sich nichts. Und freuen Sie sich doch ansonsten einfach, dass Sie nicht in so einem Verhau leben.