So, es muss hier jetzt mal rückhaltlos gelobt und gepriesen werden. Aber weder eine Band noch eine Sängerin, sondern: eine Website. Eine Website, die sich mit Hits befasst. Auf ganz neue, überraschende und entzückende Weise. Sie heißt Polygraph und die Betreiber versammeln da alle Arten von Grafiken, die erklären, wie bestimmte Musikgenres funktionieren, nach welchen Mustern und Regeln manche Songs zu Hits werden, wie lang ein Spitzenvideo braucht, um bei YouTube auf eine Milliarde Klicks zu kommen. Alles ausgesprochen faszinierend. Die Betreiber selbst sprechen dabei nicht von Grafiken, sondern von »visually-driven Essays«.
Was genau macht diese Essays so faszinierend? Gleich noch mal das gerade genannte Beispiel YouTube. Ein Beitrag auf der Seite beschreibt, dass im Jahr 2015 genau 17 Songs auf mehr als eine Milliarde YouTube-Klicks kamen. Eine interaktive Grafik, in der man die einzelnen Songs anklicken kann, zeigt, dass es für die jeweiligen Top-Hits von Monat zu Monat weniger Zeit brauchte, um die Milliarde zu knacken. »Uptown Funk« (298 Tage) hat es sehr viel schneller geschafft als »All About That Bass« (445 Tage), aber das ist rein gar nichts gegen Adeles »Hello« (87 Tage), im Lauf des Jahres nahm das alles immer mehr Fahrt auf. In drei angenehm kurzen Texten erörtern die Autoren, warum – und wie sich das auf unsere Hör- und Sehgewohnheiten auswirkt. Und wie das hier dargestellt wird, mit der schönen Grafik, den Zeitleisten, den Texten: Genau so wünscht man sich das.
Anderes Beispiel: Der großartige Beitrag »The Most Timeless Songs Of All Time« benutzt Spotify, um zu prüfen, welche Songs aus vergangenen Jahren heute noch erfolgreich sind. Es ist ja so: Man weiß, dass, sagen wir, Whitney Houstons »I Will Always Love You« im Jahr 1992 ein gigantischer Hit war. Aber wie oft wird das Lied heute noch gehört? Ist es ein Klassiker, ein Evergreen? Das lässt sich erst präzise beantworten, seit es möglich ist, Streams zu zählen. Die Antwort: Ja, mit knapp 28 Millionen Aufrufen bei Spotify liegt es ganz gut im Rennen. »Under The Bridge« von den Red Hot Chili Peppers liegt mit 33 Millionen aber weiter vorn, ebenso »Wonderwall« von Oasis (34 Millionen). Der meistgespielte Song aus den 90er Jahren ist ausgerechnet ein Lied, das es damals nicht mal in die Top 5 schaffte: »Smells Like Teen Spirit«. Nirvana. 50 Millionen Mal gespielt. Und auf Platz eins der überhaupt am häufigsten gespielten Lieder? Ein Lied aus dem Jahr 2002. Eminem mit »Lose Yourself«. Wurde fast 60 Millionen mal abgerufen. Die großartigen Polygraph-Autoren analysieren das alles noch rauf und runter, entwerfen Neben-Listen, Unter-Listen, Zugaben-Listen – es ist ein Fest.
Weitere Grafiken befassen sich mit Themen wie dem größten Wortschatz im HipHop (Drake kommt mit eher wenig Wörtern aus, beim Wu-Tang Clan dagegen rappen sie fast enzyklopädisch). Oder mit all den Wikipedia-Seiten, auf denen der Jazz-Gott Miles Davis erwähnt wird (sehr, sehr oft beim Eintrag »Jazz«, erstaunlich oft aber auch im Eintrag »Kontrabass«). Oder all den verschiedenen Playlists, in denen das Wort Punk in irgendeinem Zusammenhang auftaucht. Es nimmt kein Ende. Und falls einem das Thema Musik dann doch mal bis hier stehen sollte – es gibt auch wundervolle interaktive Grafiken, die Abrufe von Trump- und Clinton-Videos im laufenden Wahlkampf illustrieren; Filmdialoge, sortiert nach Geschlecht und Alter; Grafiken, die Hollywoods beschämenden Umgang mit Frauenrollen nachzeichnen. Und immer noch mehr. Und mehr. Und noch mehr. Herrlich.
Erinnert an: das Guinness-Buch der Rekorde – aber in gut.
Wer braucht das? Jeder, der Musik liebt und ein Herz für Statistiken hat.
Was der Website gut tun würde: Noch viel, viel, viel mehr Beiträge.
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